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Margaretha, Landgräfin von Thüringen, entflieht von der Wartburg

Der Landgraf Albrecht merkte gar wohl, daß der arme Knecht, dem er die Ermordung seiner Hausfrau anbefohlen, die That unschlüssig hinzögerte, und sprach ihn deßhalb an mit der ernstlichen Frage: Hast du die Aernte geworben, die ich dir befohlen habe? Da antwortete der Knecht: Herr, ich will sie werben, und dachte, nun kannst du es länger nicht verziehen.

Des Nachts kam er in die Schlafkammer der Landgräfin, fiel auf ihre Decke und sprach leise: Liebe, gnädige Frau, gnadet mir des Leibes! Sie fragte erschrocken: Wer bist du? Er nannte sich und sie fragte weiter: Warum fliehst du denn zu mir und bittest um Gnade? Darauf antwortete er: Frau, ich soll es noch thun, um das ich Gnade bitte. Sie sprach: Du bist trunken oder verrückt. Er erwiederte darauf: Wie dem auch sei, so gnadet meiner und auch Eurer und hört mich an mit Ruhe und Geduld, sonst – müssen wir beide sterben. – Ei wie das, warum? fragte die Landgräfin, darauf sprach er: Mein Herr hat mir befohlen, Euch zu tödten, das will und mag ich nicht thun; lieber will ich mit Euch sterben, wüßtet Ihr aber Rath, daß wir beide am Leben bleiben, wäre es uns noch besser. Da schickte ihn die bestürzte Frau zu ihrem Haushofmeister, dem Schenken Rudolph von Vargula, und ließ diesen zu sich entbieten. Wie er kam, bat sie ihn heftig weinend um seinen Rath. Er rieth ihr, was sie an Kleinodien, Geld und den unentbehrlichsten Kleidern hätte, zusammen zu packen, so wolle er ihr helfen, heimlich von der Wartburg zu entkommen, das wäre für sie das Beste. Schnell und heimlich wurde eine ihrer Jungfrauen und ihre Haushofmeisterin geweckt, die ihr beistanden, dann ging sie auf das gemalte Haus bei dem Thurm, wo ihre zwei Söhne schliefen, einer anderthalb Jahre, der andere drei Jahre alt, und fiel nieder auf den ältesten mit großer schmerzlicher Betrübniß und biß ihn in seinen Backen, fiel nachher auch auf den zweiten und wollte ihn ebenso beißen, doch wehrte ihr der Schenk, da sprach sie unter Thränen: Ich will sie zeichnen, daß sie an dieses Scheiden gedenken, so lange sie leben.

Im Ritterhause zu Wartburg drehten und schnitten indeß die beiden Frauen der Landgräfin Seile und Bänder und ließen mit Hülfe des Schenken ihre Herrin, den Knecht, der diese hatte tödten sollen, dann sich selbst aus einem Fenster in der Wohnung des Knechts auf dem Gange über der Mauer hinab, und dann stiegen sie den hohen Felsberg hinunter in das tiefe Thal und gingen im Dunkel der Nacht durch den finstern Wald in großer Betrübniß mit einander fort.

Als nun die Landgräfin entkommen war und am andern Morgen vermißt wurde, wurde auch zu Landgraf Diezmann ein reitender Bote gesendet, ihm dieses Ereigniß zu offenbaren. Diezmann hatte seinen Hof zu Landsberg im Osterlande, reiste aber gleich zu seinem Bruder nach Thüringen, denn er fürchtete, jener möge zuletzt gar um seiner Kebsin willen die Kinder verderben lassen, wie er es mit seiner Frau im Sinne gehabt. Er sprach zu ihm: Lieber Bruder, ich habe wohl vernommen, daß Euch Eure Hausfrau entgangen sei, wie kommt Ihr dazu? Darauf antwortete der Landgraf Albrecht: Sie hat lange Zeit mit einem Buben zugehalten, als sie nun glaubte, daß ich es entdeckt hätte, ist sie mit ihrem Buben hinweg. Der Markgraf Diezmann sagte hierauf: laßt sie fahren, sehnet Euch nicht darum, und die Kinder thut zu mir, so gedenket Ihr desto minder daran. Also führte er die Kinder mit sich heim, denn er selbst hatte keine.

Quellen: