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Das Kind von Brabant

Als nun Heinrich Raspo erbenlos gestorben war, erhob sich um das Thüringerland und was von Hessen dazu gehörte, ein großes Streiten und vielseitiger Anspruch. Heinrich der Erlauchte, Markgraf von Meißen, ein Sohn Jutta's, der ältern Schwester Heinrich Raspo's, hatte bereits Land und Leben zum größern Theil im Besitz, als es ihm von Sophia, der ältesten Tochter Ludwigs und der heiligen Elisabeth (deren Sohn Herrmann war schon todt), und der Wittwe eines Herzogs von Brabant, streitig gemacht wurde, indem sie es für ihr Kind in Anspruch nahm, anderer Bewerber hier nicht zu gedenken. Sophia zog mit ihrem Kind nach Hessen, viele der Thüringischen und Hessischen Ritter und Herren fielen ihr zu und wollten dem kleinen Heinrich, dem Kinde von Brabant, Elisabeths Enkel, die Herrschaft gönnen. Und bei diesem Zwiespalt war nicht einmal ein Kaiser in Deutschland, der ihn hätte schlichten können, daher wuchs großer Unfriede auch unter den Rittern des Landes. Sie wollten niemandes Freund sein und keinen Herrn über sich haben; so waren die Ritter Herbig von Hörselgau und Hans Atze, die führten vor zwei Thoren von Eisenach und in allen Dörfern das Vieh hinweg und trieben es den Hörselgrund aufwärts. Bald folgten die Eisenacher und die von Crenzburg nach, sandten auch Boten an den Burgvogt auf Schloß Tenneberg, der sammelte ihnen zu Hülfe viel Waldvolk, dabei wurden aber viele Eisenacher erschlagen und der Vogt gefangen. Dazumal wurden viele Burgen im Lande erbaut, jeder Ritter hätte gern ein eignes Schloß gehabt, so setzten die von Wangenheim ein Haus auf den Kalenberg, hinter Fischbach gelegen, die von Tulstedt eins auf den Berg, welcher der Steinforst genannt ist, ein Ritter Herrmann Stranz baute eine Burg, die Straßenaue genannt, die von Lupnitz bauten Burg Lichtenwald, die von Kopstedt den Scharfenberg, die von Frankenstein die Wallenburg, einige Ritter an der Werra thaten sich zusammen und erbauten Brandenfels. Um Eisenach erhob sich in diesen Zeiten der Fehde mehr als eine Burg, denn die Bürger schlugen sich zu der Parthei des Kindes von Brabant, wozu sie der Rathsherr, Heinrich von Velsbach bewegte. Der Markgraf hatte zwar die Wartburg gut besetzt und bemannt, aber die Eisenacher besetzten den Mittelstein und verbauten die Wartburg mit noch zwei Burgen an der entgegengesetzten Seite, der Frauenburg und der Eisenacherburg und besetzten sie mit Kriegsvolk, so daß der Wartburg alle Zufuhr abgeschnitten wurde. Zudem rief die Herzogin von Brabant ihren Stiefsohn, Herzog Heinrich, und den Herzog Albrecht von Braunschweig zu Hülfe. Dagegen half der Markgraf den Kalenberg befestigen, unterstützte seinen Freund Rudolph von Vargula beim Bau des Rudolphsteins, davon noch das Holz der Rudolphsgarten und der Brunnen, der unter dem Schlosse entsprang, der Rudolphsborn genannt wird, gegen die Eisenacherburg, damit den Eisenachern die Straße nach Franken über den gehauenen Stein versperrt sei.

Bevor der Krieg um die Erbfolge zwischen den feindlichen Partheien lichterloh entbrannte, hatte Frau Sophia mit dem Markgrafen Heinrich zu Eisenach einen Tag um gütlichen Vergleichs willen. Die, welche der Herzogin zustunden, erkannten für Recht und sprachen, daß der Tocher Sohn, das Kind von Brabant, ein näheres Erbrecht habe, wie der Schwester Sohn, der Markgraf. So reichte der Markgraf Frau Sophien die Hand und sprach: Gern, allerliebste Base, meine getreue Hand soll Dir und Deinem Sohne unbeschlossen sein, bis ein Kaiser gewählt ist, der über diese Sachen entscheidet. Doch wie er also redete, traten der Marschall Helwig von Schlotheim und andere hinzu, zogen ihn zurück und der Marschall sprach: Herr, was wollt Ihr verheißen? Wär' es möglich, daß Ihr mit einem Fuß im Himmel stündet und mit dem andern auf der Wartburg, so solltet Ihr viel eher den aus dem Himmel ziehen und zu dem auf Wartburg setzen. Darauf wandte sich der Fürst wieder zu seiner Base und sprach: Liebe Base, ich muß mich in diesen Dingen bedenken und den Rath meiner Getreuen hören, und schied von ihr, ohne ihrem Recht zu willfahren. Beschwur auch auf eine Ribbe der heil. Elisabeth sein Recht auf Thüringen und zwanzig Eideshelfer schwuren mit ihm. Da wurde die Herzogin äußerst betrübt, hub an, bitterlich zu weinen, zog den Handschuh, den schon die Hand des Markgrafen berührt hatte, von der Hand und rief: O Du, der aller Gerechtigkeit Feind ist, ich meine Dich, Teufel! nimm diesen Handschuh zusammt den falschen Rathgebern – und warf ihn in die Luft, und siehe, der Handschuh ward hinweggeführt, daß er nimmermehr wiedergesehen wurde. Jene Räthe sollen hernachmals auch keines guten Todes gestorben sein.

Da einstmals die Herzogin in die Stadt Eisenach wollte und das Thor ihr nicht aufgethan wurde, ergriff sie eine Axt und hieb mit solcher Gewalt in das St. Görgenthor, daß man noch nach zweihundert Jahren in dem Eichenholz das Wahrzeichen sah.

In einer Nacht, in der vom Sturm und Regen großes Unwetter war, sammelte Markgraf Heinrich seine Freunde auf der Wartburg und zogen mit Sturmleitern heimlich herab, durch den Hain, nach dem Mittelstein zu, den sie an der hintern Seite des Berges, wo er am steilsten ist und wo die hohen Felsen Mönch und Nonne stehen, erstiegen, gewannen die Burg, fingen die darin waren, stießen die Burg mit Feuer an und zerstörten sie von Grund aus, um der Wartburg willen, der sie allzu nahe lag; so fand das gute, wohlgebaute, feste Schloß, desgleichen im ganzen Thüringerland kein zweites stand, seinen Untergang. Mit leichter Mühe gewann und zerstörte hernach der Markgraf auch die zwei naheliegenden hölzernen Schlösser, die Eisenacher- und die Frauenburg.

In derselben Nacht, es war die von St. Pauls Bekehrung, in welcher der Mittelstein erstiegen wurde, berannte der Markgraf die Stadt Eisenach; er hatte sich Gönner gewonnen in der Gemeinde und kam an die Mauer gegen dem Barfüßerkloster. Da sprachen die Bürger, die dort wachen sollten: Steiget her in Gottes Namen, wie lange sollen wir dieß Ungemach mit Euch haben! So gewann er die Stadt, tödtete etliche Rathsherrn, die ihm abhold waren und sein Recht nicht anerkannten, und den vornehmsten von ihnen, den rechtskundigsten, Herrn Heinrich Velsbach, der ihm am allermeisten entgegen war, ließ er auf eine Blide1) legen, die vor der Wartburg stand und hinab nach der Stadt schleudern. Todesmuthig und der Herrin, die er anerkannt, bis zum Ende treu, rief der Mann, als er durch die Lüfte fuhr, mit lauter Stimme aus: Thüringen gehört doch dem Kinde von Brabant!

Quellen:


1)
Wurfgeschoß, Steinschleuder, ein altes Belagerungsgeschoß.