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Elisabeth wird von der Wartburg ausgetrieben

Nachdem nun der fromme Ludwig so fern von seiner Heimath verstorben war, suchte sein ältester Bruder, Heinrich, Rath, was er beginnen sollte. Gar bösen und untugendlichen Rath empfing er, der weder nach Gott und Recht, noch nach Zucht und Ehre war: er sollte, obgleich sein Bruder einen Sohn, Herrmann, hinterlassen, dem das Land zugestorben war, Wartburg und Eisenach für sich selbst nehmen und des Landes beste Schlösser, aber die Fürstin Elisabeth mit ihren Kindern, weil diese noch jung waren, von der Wartburg weisen, so behielte er doch die Besitzung; er sollte auch selbst freien und Erben gewinnen. Wäre endlich Herrmann, seines Bruders Sohn, herangewachsen, wenn er das ja erlebe, so würde er froh sein und sich genügen lassen, wenn man ihm eins oder einige Schlösser überließe. Durch diesen Rath wurde der frommen Elisabeth zu ihrem großen Schmerz, eine neue tiefe Wunde geschlagen, denn Landgraf Heinrich folgte ihm und sandte alsbald seine Boten, die edle Frau mit ihren Kindern auszutreiben, ließ auch zugleich in Eisenach jedermänniglich warnen, wem an seinen, als des neuen Landesherrn, Hulden gelegen, sie nicht aufzunehmen und zu beherbergen. Entrüstet sprach zu den Vollstreckern dieser grausamen Befehle die betagte Fürstin Sophia: Elisabeth soll mit ihren Kindern und Hofgesinde bei mir unausgetrieben bleiben, bis ich selbst mit meinem Sohne gesprochen! Aber es kehrte sich keiner daran, sondern sie sprachen: Sie soll und muß davon.

Da erhob sich ein jämmerliches Geschrei von den Kindern, den Frauen und ihrer Dienerschaft, des sich Gott im Himmel hätte erbarmen sollen; kaum gestatteten die Knechte des Landgrafen, daß die Vertriebenen ihr eigenes Geräthe mit sich tragen durften; in ihre Arme schloß Frau Sophia ihre Schnur und weinte übermäßig über sie und ihres Sohnes Kinder, die kleinen, unmündigen Waisen. Ihre Söhne wollten nicht vor die Mutter kommen, daß diese für Elisabeth hätte bitten können. Mit Jammer und unaussprechlichem Leide schieden die beiden Frauen. So wurde das Weh des Abschieds vom tugendsamen Landgrafen Ludwig auf die schmerzlichste Art erneuert; ach damals hätte keine gedacht, daß die beiden Fürsten ihres Bruders Kindern solches Leid anthun würden. Aus dem Thore der Wartburg schritt die hohe und doch so demüthige Herrin, die Tochter eines Königs, die Mutter der Armen, die Hülfe und der Trost der Kranken; sie trug auf ihren Armen ihr jüngstgebornes Kind, und ihre treuen Jungfrauen Irmengard, Jutta und Isentrud trugen oder führten die anderen Kinder und nur die nöthigsten Kleider und Bettgewande. Es war ein Anblick, daß es ein steinernes Herz hätte rühren müssen. Als sie herunter kamen in die Stadt, wurden sie von den Leuten angesehen wie Arme, die um Almosen betteln. Der Hellgrafenhof, der sie einst so freudig aufgenommen, blieb ihr jetzt verschlossen, wie jede andere Herberge, kein Wirth wollte sich der Ungnade des neuen Herrn aussetzen. Sie, die so viele begabt, gespeist, gekleidet, geherbergt hatte, fand kaum eine Stelle, wo sie ihr müdes Haupt hätte hinlegen können. Endlich kam sie in eine gemeine Taberne, wo jedermann einkehrte und wo man Bier und Wein schenkte, auf der Rolle genannt, dieser Wirth nahm sie aus Mitleid auf, daß sie des Tages über dort weilte und auch des Nachts wollte der Mann sie nicht austreiben; da blieb sie ruhig und geduldig, weinte und betete viel die Nacht über und als sie früh am andern Morgen die Barfüßermesse singen hörte, ging sie mit ihren Kindern hinaus, prieß unterwegs den Herrn für ihre Verschmähung und ließ bei ihrem auf den Tod verwundeten und zerrissenen Herzen von den Brüdern das Te Deum laudamus singen. Da kein Bürger sie beherbergen wollte und durfte, blieb sie im Kloster der Barfüßer. Manchem Bürger aber jammerte ihrer und viele beweinten im Stillen ihr hartes Schicksal. Bei den Barfüßern, die getrost den Zorn des Herrn wagten, versetzte sie ihr Geschmeide, sich und die Kinder zu ernähren, und spann und arbeitete, so viel sie konnte. Zu derselben Zeit geschah es, daß die gottselige Frau an dem Markte, da wo man von der Rolle nach der Badstube ging, beim Eingang in die Messerschmiedegasse, über die hohen Schrittsteine wandelte, welche dort über den Löbersbach, einen kothigen Graben, gesetzt waren, da begegnete ihr recht in der Mitte ein altes Bettelweib, der Elisabeth oft und viel Almosen gegeben hatte, und stieß die unglückliche Fürstin, da sie ihr nicht ausweichen konnte, in den tiefen Koth, daß sie alle ihre Kleider danach waschen mußte. Auch diese Schmach trug sie in Geduld, und dankte Gott lächelnden Mundes, daß sie um seinetwillen also gedemüthiget werde.

Von ihrem tiefen Leid erfuhr endlich die Frau Aebtissin Sophia zu Kitzingen1), sandte ihr gleich einen Wagen und ließ sie holen, dann ließ sie auch der Bischof zu Bamberg kommen, und hielt sie dort gar ehrbarlich mit ihren Kindern und Jungfrauen, Frauen, dazu mit zwei Mägden, zwei Dienern und einem eignen Pfaffen, zusammen zwölf Personen und sie wohnte ruhig auf dem Schloß Bodenstein.

Der eine Bruder des Landgrafen Ludwig, Konrad, trat in den Deutschherrenorden und blieb folglich ehelos, der zweite Bruder, Heinrich Raspo, nahm nach einander drei Gemahlinnen und blieb dennoch kinderlos, so strafte Gott an ihm die Grausamkeit, die er an seiner frommen und schuldlosen Schwägerin Elisabeth verübte.

Quellen:


1)
Sophia II. von Neuenburg war von 1146 bis 1161 Äbtissin des Benediktinerinnenklosters in Kitzingen. Quelle: Wikipedia