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Der Wehnsdorfer Schulze holt Gewitter

Lange, ehe die Eisenbahn nach Dresden gebaut wurde, war einmal eine sehr große Dürre im Lande. Das Korn hatte keine langen Halme, und die Aehren waren klein und leer. Die Leute hatten Angst, daß auch die Kartoffeln nicht lohnen würden. Denn es wollte immer noch nicht regnen. In Wehnsdorf war es ganz traurig, alles wollte umfallen. Da war ein alter Mann in Wehnsdorf, der sagte, sein Vater hätte mal einen gekannt, der hat aus Leipzig ein Gewitter geholt. In der Schenke sprachen sie davon und die Menschen kamen überein, daß sie auch ein Gewitter aus Leipzig haben wollten. Der alte Mann sagte, es hat zehn Taler gekostet. Da brachten sie das Geld auf. Aber keiner wollte gehen. Endlich mußte der Schulze, weil alle Menschen es sagten. Am andern Tage, als immer noch kein Regen kam, machte sich der Schulze auf, band die zehn Taler in sein Taschentuch und ging fort. Als er nach Leipzig kam, wußte er nicht, wo ein Mann wohnte, der Gewitter zu verkaufen hätte. Da stand er auf der Straße an einer Ecke und sah sich um. Auf einmal kam einer und fragte ihn nach seinem Vorhaben. Da sagte der Schulze, er wäre aus Wehnsdorf und wollte zu dem Gewittermacher. Da sagte der andere, er wollte ihn führen und brachte ihn hin. Der Gewittermacher gab ihm eine große Schachtel aus Holz, und der Schulze nahm sein Schnupftuch und holte die zehn Taler heraus, und es war gut, daß es harte Taler waren, denn sie waren ganz naß und der Schulze mußte sie erst am Rock abwischen. Und dann nahm er die Schachtel unter den Arm und ging wieder nach Wehnsdorf. Endlich, als er lange genug gewandert war, kam er an. Es war aber zu Abende. Als er das Dorf im Dunkel liegen sah, tat er sich noch einmal setzen und dachte, er wollte sich das Gewitter doch einmal allein ansehen, denn morgen, wenn er die Schachtel aufmachte, stiege es gleich auf und finge an. Als er nun den Deckel anhob, rutschte ihm der weg und das Gewitter flog mit Gebrumme davon und nach Schwarzenburg zu. Der Schulze sprang auf und wollte es haschen, aber es war ihm zu schnell. Da zog er seinen Rock aus und schlug das Gewitter zurück und schrie: „Doa is Wehnsdorp, doa is Wehnsdorp,“ aber das Gewitter stieg immer höher und flog nach Schwarzenburg.

Da war der Schulze sehr traurig und ging nach Hause, als alles dunkel war, und erzählte es seiner Frau, und sie weinten sehr zusammen; denn er wußte nicht, wo er die zehn Taler hernehmen sollte. Endlich schliefen sie ein. Auf einmal wurden sie munter, und der Regen rauschte und es fing an zu wittern. Da freute sich der Schulze, daß das Gewitter doch nach Wehnsdorf gekommen war, und er sagte, daß er es gleich in der Nacht losgelassen hätte. Da freuten sich alle Menschen über ihn und er blieb Schulze bis an sein Ende.

Quelle: Robert Scharnweber & Otto Jungrichter: Sagen, Anekdoten und Schnurren aus dem Kreise Luckau N.-L., Berlin 1933