<<< zurück | Sagenbuch der Sächsischen Schweiz und ihrer Randgebiete | weiter >>>

Sterbenden und Toten muß ihr Wunsch erfüllt werden

  Mündlich um 1900. 
  M. II, Nr. 11

Vor vielen Jahren nahte der Todesengel einem Kindlein in dem Orte Saupsdorf; in seiner letzten Not verlangte das Kind nach einem kühlen Trunke, der ihm aber aus irgend einem Grunde versagt wurde. Da erschien bald nach seinem Abscheiden eine weiße Taube und setzte sich eine Zeitlang auf den Kachelofen in der Wohnstube. Als die darüber höchst bestürzten Hinterbliebenen den Pastor des Nachbarortes um Rat fragten, riet ihnen dieser, dem Vogel bei seiner Wiederkehr eine Schale mit frischem Wasser hinzusetzen. Und wirklich trank die Taube, als sie am anderen Tage wiederkam, mit großer Gier den Napf leer und ward nicht mehr gesehen.

In demselben Dorfe hatte man einst vergessen, einer reichen Bäuerin die Totenschuhe anzuziehen. Die Verstorbene kam nun regelmäßig zur Nachtzeit in das Haus und suchte nach einer Bedeckung für ihre nackten Füße. Der Spuk versetzte alle Leute in Angst; nur eine alte Magd faßte sich ein Herz und frug nach dem Begehren des Geistes. „Ach“, jammerte derselbe, „zwölf Paar Schuhe und doch keine an den Füßen.“ Man setzte der Abgeschiedenen nun ein Paar der zurückgelassenen Schuhe in den Weg, die sie auch bei ihrem nächsten Besuche mit sich nahm. Der Spuk aber hatte von an sein Ende.

Quellen: