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Eine Braut spricht aus dem Grabe

  Haupt und Schmaler, Volkslieder der Wenden, I, S. 171 ff.; 
  M. II, Nr. 17

In Schandau lebte einst eine schöne Maid. Diese liebte ein Bursche aus dem dem Lausitzer Wendenlande. Lange hatten sich die beiden nicht gesehen. Endlich machte sich der Wendensohn auf, um die Geliebte zu besuchen. Er ritt mit seinem Brüderlein nach Schandau, „der neuen Stadt“. Die beiden Reiter fanden jedoch am Abend keinen Einlaß. Nur ein altes Mütterchen kam aus der Stadt zu ihnen heraus, hieß sie willkommen und lud sie zu Gaste. Sie wollten aber nicht essen, bevor sie das Mädchen gesprochen hätten. Da erfuhren sie, daß die Geliebte gestorben und gerade heute vorm Jahre in feierlichem Gepränge beerdigt worden sei. Nun war ihres Bleibens nicht länger. In tiefster Betrübnis wendete der verwaiste Bräutigam das Roß und ritt nach dem Friedhofe hin, als schon die Nacht hereingebrochen war. Vor dem Grabe der Unvergeßlichen machte er Halt und rief laut schluchzend:

„Helf dir Gott, liebliches Mägdelein!
Helf' dir Gott, Herzliebchen mein!
Sag' mir, o sag' mir, was das ist,
Daß du mir gestorben bist?
Brach der Kram um mich dein Herz?
Bracht' ins Grab dich eigner Schmerz?“

Da ertönte, o Wunder, ihm zum Troste, der Toten Stimme aus der Gruft:
„Nein, nicht um dich mußte ich hinab,
Auch nicht um mich ins dunkle Grab;
Angetan hat's mir allein
Die böse, alte Mutter mein.
Ein Äpflein, außen schön weiß und rot,
Doch innen vergiftet, es bracht' mir den Tod.
Vor Mutters Angesicht, da sie mir's gab,
Mußt' ich es essen, drauf sank ich ins Grab.“

Wie traurig weinte da der arme Bursche. Das selige Liebchen redete nicht weiter. Still war's wieder ringsumher, wie es auf dem Gottesacker zu sein pflegt. Zwischen den Gräberreihen ritt der Bursche hinaus. Fröhlich wieherte sein Rößlein, den Heimritt ahnend. Dem Reiter aber krampfte vor Wehmut das Herz.

Quellen: