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Der Drache

  Mündlich. 
  Haupt, Sagenbuch der Lausitz. Leipzig. 1862. I. Teil Seite 73. 

Viele Frauen haben den Drachen, welcher ihnen Milch, Butter, Getreide und Geld zuträgt; um ihn in ihre Dienste zu bekommen, müssen sie sich dem Teufel verschreiben. Der Drache schleicht sich bei den Menschen auf folgende Weise ein:

Irgendwo findet man einen Dreier liegen. Nimmt man diesen zu sich und verwahrt ihn gut, so liegt morgen ein Sechser da, und so wächst nach jedesmaliger Hinwegnahme des Gefundenen der Wert des Geldstückes bis zu einem Speciesthaler. Eignet man auch diesen sich zu, so hat man einen Heckthaler und den Drachen am Halse. Er zieht dann als eine feurige Lufterscheinung durch den Schornstein ins Haus. Es giebt verschiedene Arten: den Getreidedrachen, den Milchdrachen, den Gelddrachen. Jeder Drache will gut abgewartet, gefüttert und mit höflichen Worten behandelt sein. Versieht es der Wirt oder die Wirtin darin, so steckt er ihnen das Haus über dem Kopfe an und geht davon. Als ein Feuergeist hat er seine verborgene Wohnung in der sogenannten Hölle hinter dem Ofen. Der Milchdrache läßt sich nur mit einem Bindfaden melken.

Ein Knecht in einem Dorfe bei Hohnstein hatte seine Herrin schon lange im Verdachte einen Drachen zu besitzen. Eines Abends saß er mit seinem Liebchen auf der Bodentreppe, wo der Kamin vorbeiführte. Da hörte er die Bauerfrau sagen: „Mazel, Mazel, hier steht deine Semmelmilch. Gieb die Wurst her.„ Aus der Esse aber antwortete der Drache: „Es guckt, es guckt.“ Zitternd entflohen die beiden Lauscher. Am andern Tage aber gab es Wurst und Milchbrei zu essen. Der Knecht verließ darauf sofort seinen Dienst. Jene Frau konnte später, wie alle Besitzer von Drachen, nicht „ersterben“. Erst als man ihr etwas Mist unter das Kopfkissen breitete, kam es mit ihr zum Ende.

Eine alte Nachricht aus Neustadt besagt: „Während der großen Feuersbrunst (1674) hat sich in der Luft ein Gesicht, so man vor den Drachen gehalten, sehen lassen und ist über das Städtlein fort, gleichsam nach dem hohen Walde zu gezogen, und solches hat gesehen der Bürgermeister Jakob Tietze, sein Eheweib und noch viele andere Leute.“

Quelle: Sagenbuch der Sächsischen Schweiz; Herausgegeben von Alfred Meiche, Leipzig 1894, Verlag von Bernhard Franke