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Gobius und der Leichenwagen in Görlitz

  Mündlich

Zu gewissen Zeiten fährt um die Mitternachtsstunde ein schwarzbehangener Leichenwagen durch die Straßen von Görlitz. Schwarze Pferde ohne Köpfe ziehen ihn und schwarzgekleidete Männer, die den Kopf unter dem Arme tragen, begleiten ihn. Die nächtliche Fahrt beginnt an der Jakobskirche, geht durch das Frauenthor, die Steingasse, Nonnengasse, Brüdergasse und Petersgasse bis an das ehemals Gobius'sche, jetzt Huste'sche Haus, von da wieder zurück durch die Langegasse und Breitegasse zum Reichenbacher Thore hinaus, den grünen Graben entlang, auf den Nikolai-Kirchhof, wo der Spuk bei der Gobius'schen Gruft verschwindet. Viele Menschen haben noch in der neuesten Zeit den Leichenwagen fahren hören, denn er macht ein großes, eigenthümliches, dumpfes Gerassel auf dem Straßenflaster. Wenn einer zum Fenster hinaus geschaut, im Wahne es sei ein gewöhnlicher, natürlicher Wagen, der durch die Straßen rolle, so hat er den Leichenzug immer um die Straßenecke herum biegen und im Augenblicke verschwinden sehen, so daß er nichts genau hat unterscheiden können. Und dann ist er noch glücklich: denn wer ihn bei sich vorbeiziehen sieht, und ihn deutlich erblickt, der muß noch in diesem Jahre sterben.

Viele wollen auch jenen Gobius in der äußern heiligen Grabsgasse gesehen haben. Auf der Höhe des Weges, wo ein steinernes Kreuz steht, fährt er Mitternachts dreimal im Kreise herum. Er sitzt in einer schwarzen Kutsche mit vier schwarzen Pferden und hat den Kopf unterm Arme.

Als dieser Gobius begraben wurde, soll er leibhaftig in seinem Hause in der Petersstraße zum Fenster heraus gesehen und dem Leichenzuge zugeschaut haben. An dem Fenster, so glauben noch heute viele Leute, ist das Bildniß des verstorbenen Gobius eingemauert und darf nicht heraus genommen werden, denn er leidet keine Ortsveränderung.

An seiner Gruft auf dem alten Nikolaikirchhofe ist ein eisernes Gitter. An dem fehlt ein Ring, und kein Schmied kann ihn so fest daran machen, daß er nicht die nächste Nacht abspränge. (An dieser Stelle vermischt sich die Sage mit der vom Nachtschmiede. S. No. 107.) Einst spielten Knaben auf dem Kirchhofe in der Nähe der Gruft. Einer lief an das Gitter und rief: Gobsch, Gobsch, komm heraus! Da erhielt er plötzlich von unsichtbarer Hand eine dröhnende Ohrfeige, so daß er heulend und schreiend sammt seinen Kameraden das Weite suchte.

Anmerkungen: Gregor Gobius (geb. 1598 +1658) war ein Alchymist und kam deshalb schon bei Lebzeiten in üblen Geruch. Dazu kam sein auffallendes Aeußere und sein geheimnißvolles Benehmen: So trug er stets einen rothen Rock und eine ungeheure Perücke. Als seine Frau gestorben war, balsamirte er dieselbe eigenhändig ein. Der Leichnam, der in der von ihm erbauten Gruft liegt, zeigte sich bei einer vor einigen Jahren vorgenommenen Sargöffnung wohl erhalten, nur ganz braun und mumienartig. Diese Kunst lehrte er auch seinem Diener, damit dieser ihn nach seinem Tode ebenfalls einbalsamiren könne, was ihm aber weniger gut gelungen ist.

Quelle: Karl Haupt, Sagenbuch der Lausitz, Leipzig, Verlag von Wilhelm Engelmann,1862