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Der Galgenvogel von Jetzsch

  R. Scharnweber & O. Jungrichter: Sagen, Anekdoten und Schnurren aus dem Kreise Luckau, Berlin 1933

Vor vielen Jahren lebte in Jetzsch ein Wirkmeister Vogel, der hatte ein böses Weib. Das quälte die Gesellen ärger als der Teufel. Nie war sie mit dem zufrieden, was die Gesellen in ihrem Handwerk leisteten. Immer wieder sollten sie vor und nach der Arbeit noch allerlei Hantierungen im Hause tun.

Das wußte die ganze Umgebung und obwohl der Meister in seinem Fache sehr tüchtig war, hatte er niemals einen Lehrjungen. So sehr war sein Weib verschrien. Auch die Gesellen blieben meist nur kurze Zeit und nur der Not gehorchend. In ihrer Niedertracht verlangte die Meisterin, daß die Gesellen sonntags vor dem Essen Holz für die ganze Woche heranholen sollten. Die Gesellen taten es auch, schimpften und gingen davon, sobald sich eine Gelegenheit bot. Der Meister war ihr gegenüber machtlos.

Da wurde einmal ein Berliner Wirker nach Jetzsch verschlagen. Der tat die ganze Woche, als hörte er nicht, wenn ihm das Weib etwas sagte. Als er nun am Sonntag von ihr den Auftrag bekam, Holz zu holen, sonst bekäme er nichts zu essen, ging er in den Wald und holte den alten morschen Galgen und stellte ihn vor die Tür in den Garten. So mußten ihn alle Leute die aus der Kirche kamen, sehen. Dann ging er in seine Kammer. Nach einer Weile kam die Meisterin und fragte, ob er das Holz geholt habe. Er sagte ihr: „Ja, soviel, daß sie sich daran aufhängen könne. Sie solle nur vor die Türe gehen“.

Das tat sie dann auch und wäre fast versteinert, als sie vor dem Hause die Nachbarn schadenfroh lachend, den Galgen betrachtend, antraf. Sie lief ins Haus zurück zu dem Gesellen und bat ihn nun himmelhoch, den Galgen wieder fortzuschaffen. Sie wolle auch niemals mehr unbillige Arbeit von ihm verlangen. Erst als sie vor dem Ortsrichter Besserung gelobte, brachte der Geselle das Galgenholz wieder an seine Stelle. Das böse Weib aber ließ sich nirgends mehr sehen. Das ganze Dorf nannte sie von da an „Galgenvogel“. Da zog der Meister in einen anderen Ort.

Quelle: E.H.Wusch: Sagen meiner Heimat, eine Sammlung mündlich übertragener Sagen der Lausitz