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Die Kegelbahn in der Kirche

In einem Harzdorf hatte eine Kirche gestanden, die war verwünscht gewesen und hatten schon viele versucht, sie zu erlösen. Jeder aber, der den Versuch gemacht hatte, trug auch einen Klapphandschuh davon. Der eine hatte einen Arm eingebüßt, der andere war taub herausgekommen, weil er eine Maulschelle gekriegt hatte, wie sie selten gegeben wurde, der Dritte hatte einen lahmen Fittich davon mit nach Haus genommen, kurz jeder bekam sein Fett weg, aber geglückt hatte es noch keinem.

Da kam einmal ein Müllerbursche ins Wirtshaus daher und bliebt da. Des Abends kamen mehrere aus dem Dorf dahin und sprachen davon, dass in der vergangenen Nacht wieder einer fast den Tod daran gelitten hätte. Er läge jetzt noch ganz besinnungslos, und die Kirche wäre auch diesmal nicht erlöst.

»Darf denn da ein jeder hin und die Kirche erlösen?«, fragte der Müllerbursche.

»Jawohl, wer will, kann’s versuchen und sehen, wie er den Rest kriegt. Er muss sich aber erst beim Kantor hier melden, dass der die Kirche auf- und zuschließt.«

»Nun«, sagte der Müller, »so will ich’s doch auch einmal versuchen, ob ich sie erlösen kann. Wo wohnt denn der Kantor?«

Einer von der Gesellschaft brachte ihn hin, und der Müller sagte dem Kantor Bescheid. Der Kantor aber hatte sein dickes Bedenken und sagte, es wäre aber sehr gefährlich, der Müller möchte sich erst noch einmal bedenken, was er täte.

»Ach was«, antwortet der, »ich fürchte mich vor dem Teufel nicht, und in der Kirche bin ich ja ohnedem vor dem sicher, denn eine Kirche ist dem Teufel sein Lieblingsort gerade nicht, und wer anderes soll mir nichts anhaben. Ich habe derbe Fäuste und ein paar stramme Arme, in denen allenfalls eiserne Brechstangen statt der Knochen sitzen. Damit nehm ich’s mit jedem auf. Um zehn komm ich und damit gut.«

Er ging wieder zum Wirtshaus, spielte noch bis halb zehn Solo1) und gewann noch ein paar hübsche Groschen. Wie’s zehn schlug, warf er aber die Karten und machte sich zurecht. Er ließ sich erst einen kleinen Kochtopf, dann Wasser und etwas Mehl geben und sagte, er mache sich jede Nacht um zwölf einen Mehlbrei, der bekomme ihm recht gut und davon ließe er auch nicht, auch nicht bei der Gelegenheit. Dann ging er zum Kantor, ließ sich da ein Wachslicht geben. Der Kantor schloss auf, der Müller ging hinein. und die Kirche wurde wieder zugemacht. Er steckte sein Licht an, ging in den Beichtstuhl, darin war auch ein Ofen gewesen. Er machte sich Feuer im Kamin an, denn er hatte auch Holz und Feuerzeug mitgebracht und setzte sein Wasser auf, dass es unterdessen kochte. Dann steckte er sich eine Pfeife an, setzte sich auf den Stuhl des Pastors und rauchte so ganz gemütlich, als ob er in seiner Mühle sitzen würde. Da schlug es elf, und er hörte in der Kirche ein geheimes Dustern und Lausen. Er machte deshalb die Beichtstuhltür auf und sah ein Licht unten im breiten Gang und oben auch eins.

Ei, dachte er, musst doch sehen, was es da gibt. Er ging deshalb heraus und vor den Altar. Da waren denn eine ganze Menge Leute, alle in Sterbekitteln, wie sie in der Regel in den Sarg gelegt werden, die standen da alle, hatten weiße Mützen auf, Strümpfe und den Sterbekittel an und sahen aus, als hätten sie schon lange im Grab gelegen, grützgrau, fahl und leichenhaft, hatten so glasige Augen, abgemagerte Totenhände. Dabei glotzten sie ihn alle an, als ob sie ihm zu Leibe wollten. Kurz, es war gerade keine Kleinigkeit gewesen, das anzusehen und dabei zu sein. Wie er sie und sie ihn aber so ansahen, so kam unten aus dem Gewölbe ein Knochengerippe und hatte einen Arm voll Beinknochen von Menschen und dann einen Totenkopf. Das alles schmiss der Knochenmann unten im breiten Gange hin und setzte die Knochen wie Kegel auf. Zuletzt warf er den Totenkopf herunter nach den anderen, die vor dem Altar stehen. Die fingen nun an zu kegeln, der Knochenmann setzte auf. Wie sie nun alle durch waren und hatten ihre Würfe getan, so fragte der Müller, ob er auch ein bisschen mit kegeln dürfte. Er kegele gern, das mache ihm Spaß. Sie könnten auch nicht ordentlich werfen. Sie sollten mal sehen, wie bei ihm die Kegel fielen. Damit nahm er den Totenkopf, ohne auf ihre Antwort zu warten und warf zu. Gleich lagen alle neun. Die anderen sahen sich an, keiner sprach ein Wort.

Er sprach, ob sie wohl sahen, dass er’s könnte, und so kegelte er mit. Die anderen ließen es auch zu, und er warf ganz knubsch.

Da schlug es zwölf, er wusste gar nicht, wo die Stunde geblieben war. Mit einem Mal war alles weg und alles finster.

Da rief er: »Wo seid ihr denn? Das ist aber keine Ordnung, dass ihr weglauft und bezahlt mich nicht. Ihr seid Betrüger. Das hätte ich wissen sollen. Einer hätte gewiss die Butter bezahlen sollen.«

Danach musste er sich zum Beichtstuhl hinfuscheln, da brannte sein Licht, das Wasser kochte, er machte seinen Brei und ärgerte sich noch über den Betrug. Dann aß er seinen Brei, legte sich hin und schlief, bis der Tag sperrweit zum Fenster hereinschien.

Der Kantor kam, schloss die Kirche auf und wunderte sich nicht wenig, wie der Müller frisch und wohlgemut zu ihm kam.

»Na, lebt ihr denn noch?«, fragte der Kantor.

»Freilich«, sagte der Müller. »Betrüger gibt’s aber hier auch, schändliche Betrüger, die mich um meinen Kegelprosit beschuppt haben!« Und erzählt, wie’s ihm ergangen war.

Der Tag ging hin, und er machte sich des Abends so gegen zehn wieder in die Kirche. Alles ging so wie den Abend vorher. Nur wie er den Totenkopf hinnahm, sprach er, diesmal müssten sie aber rechtlich bezahlen, wenn sie verlören und sich nicht wie die Katze vom Taubenschlag wegmachen. Sonst setze es Kopfstücke.

Die Kegelgesellschaft aber antwortete kein Wort, und so wurde fortgekegelt. Ehe er sich um und aufsah, schlug es wieder zwölf und alle waren wieder fort, die Kirche wieder finster. Und er stand vor dem Altar wie ein Hans Narr, der abermals angeschossen worden war. Voll Grimm und Ärger krappelt er sich wieder zum Beichtstuhl, machte sich seinen Mehlbrei zurecht, aß den, legte sich auf die Bank und schlief die ganze Nacht. Niemand störte ihn, bis am Morgen der Kantor wiederkam und aufschloss. Als er zu ihm kam, so ganz, als wäre ihm nichts passiert, sagte der: »Na, Ihr könnt von Glück reden. Euch ist ja gar nichts darum.«

»Ach, dummes Zeug«, sagte der Müller, »ich ärgere mich nur, dass mich die Spitzbuben wieder um die Kegelgroschen betrogen haben. Die nächste Nacht soll’s ihnen aber nicht glücken. Ich habe mir schon was ausgesonnen, das soll mir wohl zu meinem Geld verhelfen und die Kirche erlösen. Hört, Herr Kantor, wenn diese Nacht die Betglocke schlägt um zwölf, dann kommt nur, dann ist’s fertig, dann habe ich meinen Willen.« Mit diesen Worten ging er fort.

Am Tag besuchte er die umliegenden Mühlen und holte sich seinen Zehrpfennig, des Abends war er aber wieder im Dorf und ging um zehn zu der Kirche. Der Kantor schloss zu und sagte, er wolle bis um zwölf munter bleiben. Der Müller solle für eine gute Belohnung nicht sorgen, wenn er die Kirche erlöst hätte, sodass wieder Kirche darin gehalten und die Glocken geläutet werden könnten, die bis dahin keinen Ton von sich gegeben hätten. Daran solle er es gerade hören, antwortete der Müller. Sein Erstes wäre, die große Glocke anschlagen zu lassen. Damit ging der Kantor fort.

Diesmal ging’s auch wieder wie die vorigen Abende. Nur fehlte dem einen von der Gesellschaft ein Arm, dem anderen ein Bein, so ging’s Neunen. Einer war dabei, der hatte keinen Kopf. Halt, dachte der Müller, der hat seinen Kopf zur Kegelkugel hergegeben und die anderen der eine ein Bein, der andere einen Arm. Damit sollst du sie anführen.

Wie es so gegen zwölf hinkam und es an ihm zu werfen war, dass er eben den Totenkopf hingenommen und in der Hand hatte, da sagte er: »Nun haltet erst einmal. Zweimal habt ihr mich um mein gewonnenes Geld betrogen. Heute kommt’s anders. Ich schmeiße nun nicht eher, bis ihr erst das von gestern und vorgestern bezahlt und auch das von heute, denn ihr seht, ich habe wieder eine schöne Zahl gut.«

Wollten sie wohl oder übel, es holte einer einen Geldbeutel unterm Altar vor und zählte ihm eine Menge blanker Taler hin, sodass der Müller dachte: Nun bist du deinem Schaden beigekommen.

Als er das Geld beigesteckt hatte, sprach er: »Wir sind aber noch nicht fertig. Jetzt müsst ihr auch die Kirche erst erlösen, dass wieder darin gepredigt werden kann, sonst gebe ich den Totenkopf nicht her. Das erklärt einer von euch dort am Altar, dass ich es und die anderen hören.«

Sie kratzen sich hinter den Ohren.

Er aber sprach trotzig: »Na wird’s bald, es ist gleich um zwölf.«

Es ging also einer an den Altar und sprach mit einer hohlen Geisterstimme: »Wir geben die Kirche der Gemeinde zurück, nachdem wir durch den mutigen Müller dazu gezwungen sind. Amen.«

Da gab der Müller dem, welchem der Kopf gefehlt hatte, den Totenkopf hin.

Der setzte ihn auf und da schlug es zwölf. Alles war verschwunden und der Müller stand wieder im Finstern. Nun ging er wieder in den Beichtstuhl, aß erst seine Mehlsuppe und suchte nun den Glockenstrick im Turm. Dann fing er zu läuten an. Da kam der Kantor, schloss auf und ließ ihn heraus.

Auch noch viele andere Leute waren durch das lange nicht gehörte Läuten aufgewacht und zur Kirche gelaufen und hatten gleich erfahren, was geschehen war. Das ganze Dorf freute sich, dass es seine Kirche wieder hatte, und die Leute hatten ihm ein großes Geschenk zusammen gemacht. Durch das Geld, was er in dem Dorf und bei dem Kegeln bekommen hatte, war er ein reicher Mann geworden und hatte sich nachher die Mühle vor dem Dorf gekauft, die gerade zu verkaufen gewesen war. Ein jeder aber hatte nachher heillosen Respekt vor dem Müllermeister gehabt.

Quelle:


1)
Anmerkung Sagenwiki: Deutsches Solo oder kurz Solo, plattdeutsch Sollo ist eine vereinfachte Version des spanischen Kartenspiels L’Hombre, jedoch für vier Personen. In Deutschland ist das Spiel heute nicht mehr allzu verbreitet. Quelle und weitere Infos: Wikipedia