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Die grüne Jungfer

Die alte Großmutter hat die Geschichte erzählt und was, die erzählte, das war wahr, sie fieng an und sagte: Na, nun hört mir mal zu. Mir fällt eben die Geschichte von der grünen Jungfer ein, die habt ihr noch nicht gehört. Ja, ja, früher ist manches passirt, das alles vergessen wird, wenn unser Eins es nicht behielt und neu auftischte. Da unten in Windhausen unter der Laubhütte hinunter hat vor vielen Jahren einmal ein armer Besenbinder gewohnt und viele recht hübsche Kinder gehabt. Man hat das wohl, daß arme Leute hübsche Kinder haben.

Dieser Besenbinder nimmt seine älteste Tochter, es ist ein Mädchen so von dreizehn, vierzehn Jahren gewesen, das rothe Backen und rechte gluhe Augen hat und dabei kann es sprechen, wie ein Buch; das nimmt also sein Vater mit in den Wald und holt Besenreiser zu Besen, versteht ihr? Da vorn bei Windhausen standen damals auch schon viel Birken, und ihr wißt, von den feinen Ruthen werden Besen gemacht. Es ist schrecklich kalt gewesen, wenn auch die Sonne über Berg und Thal schien; an den Zweigen hat das Eis gesessen und ausgesehen, als hingen lauter Silberstangen daran herunter.

Sie gehen weiter in den Wald; vorn herum haben erst Tannen gestanden, und dann ist das Laubholz gekommen. Auf einmal bleibt der Vater stutzig stehen und spricht, indem er nach einer großen Tanne zeigt: Sieh doch, Anna, was ist denn das? Das Mädchen sieht auch da eine Jungfrau stehen, die ein grünes Kleid, grüne Hände, grünes Gesicht und auch gar grüne Haare hat. Die beiden wundern sich noch darüber, da kommt die grüne Dame auf sie zu und spricht zu dem Vater „Deine Tochter da, die muß ich haben“, und kaum hat sie das gesagt, so ist sie mit dem Mädchen verschwunden. Vor Schreck kann erst der Mann keinen Schritt von der Stelle thun, nachher kommt er wieder zu sich und hört dann weit von sich rufen: „August, August, August!“ und ein paar Schritt von ihm steht ein goldener Hirsch. Weil er meint, seine Tochter wäre darin verwandelt, so geht er darauf zu; als er aber den Hirsch an's Geweih fassen und festhalten will, da ist er verschwunden. So geht's dreimal, aber immer auf einer andern Stelle.

Bei der Gelegenheit ist der Besenbinder vor ein kleines Hüttchen gekommen. Er geht hinein, um ein wenig zu ruhen von der Anstrengung und wegen des Kummers über seine Tochter, die er so schändlich verloren hat. Sieh da, da sißt die grüne Jungfer und ist halb Fisch und halb Mensch und darum her sitzen lauter kleine Männlein mit steinernen Beinen auf kleinen Treppen, und das geraubte Mädchen, die Besenbindertochter, nicht weit von der Thür auf goldenem Throne. Voll Freude nimmt der glückliche Vater sein Kind auf den Arm und macht, daß er zum Haus hinaus kommt. Keiner verfolgt ihn, er läuft, als wenn ihm der Kopf brennt, daß er erst den Wald hinter sich hat, und kommt glücklich zu den Seinen. Ist aber das Mädchen vorher schon schön gewesen, nachdem ist sie ein wahrer Engel von Schönheit.

Die Geschichte wird ruchbar und bei der Gelegenheit erfährt man auch, daß der Besenbinder eine so hübsche Tochter hat, selbst der junge König erfährt's. Da der sich nun vorgenommen hat, nur das hübscheste und beste Mädchen zu heirathen, so lernt der sie auch kennen und nimmt sie zur Frau, wenn's auch nur eine Besenbindertochter gewesen ist, thut nichts, er hat sie lieb, und se bat ihn erst recht lieb. Das ist eine Herrlichkeit gewesen, Einer hat ohne den Andern nicht leben können und wo sie sich getroffen haben, da hat's erst Umarmungen und Küsse gegeben, ach so herzlich, so innig, so zärtlich, so lieb, daß man am Ende gesagt hat: Keines ist so glücklich wie unser Königspaar.

So geht ein Jahr in Freude und Lust hin, dann bekommt die junge Königin einen Prinz, der bringt drei goldene Locken mit. Dadurch giebt`s neuen Jubel, große Freude, innigere Liebe. Es ist aber nichts vollkommen. In der ersten Nacht darnach kommt die grüne Jungfrau und spricht zur Wöchnerin: „Kind, wie hast du mich in meinem Drangsal gesehen?“ Da antwortet die Königin: „Herzliebste Mutter, ich habe dich nicht gesehen“. Da nimmt die Grüne den niedlichen Prinzen, herzt und küßt ihn und verschwindet damit. Darüber trauert das ganze Land, der Vater und die Mutter; na, die wird fast wahnsinnig vor Herzeleid.

Nach einem Jahre bekommt sie aber wieder einen allerliebsten Prinzen, der hat einen goldenen Stern auf der Brust. Nun ist alles wieder froh und vergnügt. Es dauert aber nicht lang. Wieder in der ersten Nacht kommt die grüne Jungfer und spricht: „Kind, wie hast du mich in meinem Drangsal gesehen?“ Die Königin antwortet: Herzliebste Mutter, ich habe dich nicht gesehen. Darauf ist die Grüne wieder mit dem Kinde verschwunden. Das giebt neues Herzeleid, und die Königin will sich fast von Sinnen thun.

Darnach vergeht abermals ein Jahr, und sie bekommt einen dritten Sohn, der hat einen goldenen Hirsch auf der Brust. Mehrere Tage vorher sind schon Wachen aufgestellt, das ganze Schloß ist umzingelt von Soldaten und vor der Stubenthür haben vornehme Herren wachen müssen, weiß nicht, ob's Kammerherren gewesen sind. Kurz und gut, es ist dafür gesorgt, daß das Kind nicht wieder gestohlen werden kann. Trotzdem aber, um elf Uhr in der ersten Nacht, da liegen alle Wachen und schlafen wie die Ratten. Da kommt die grüne Jungfer abermals zur Königin hinein und spricht: „Kind, wie hast du mich in meinem Drangsal gesehen?“ und die Wöchnerin antwortet: „Herzliebste Mutter, ich habe dich nicht gesehen.“ Darauf verschwindet die Grüne mit dem Kinde.

Da nun alles nicht geholfen hat, so dringt das ganze Volk darauf, die Königin soll verbrannt werden, weil sie ihre Kinder aufgefressen hätte. Denn gestohlen könnten sie nicht sein, und dann hätte sie ja auch jedesmal am folgenden Morgen, wenn der Prinz gestohlen wäre, Blut auf dem Bette und an Händen und am Munde gehabt. Der König will das durchaus nicht zugeben; denn er hat sie zu lieb; er muß es aber am Ende zugeben, was er nicht ändern kann; das Volk hätte ihn sonst auch umgebracht.

Nun wird ein großer Scheiterhaufen aufgerichtet, und die unglückliche Mutter hinaufgeführt und an einen Pfahl gebunden. Der Geistliche betet noch für ihre arme Seele, und bittet den lieben Gott, sie auf- und anzunehmen und dann segnet er sie ein und steigt herunter. Um den Holzstoß steht das Volk gedrängt und will die Hexe verbrennen sehen; die Musikanten spielen schaurige Stücke, und alles lauert, daß das Holz angesteckt wird, und dann die Qual der Königin angeht.

In dem Augenblick steht nochmals die grüne Jungfer vor ihr auf dem Scheiterhaufen und spricht: „Kind, wie hast du mich in meinem Drangsal gesehen?“ Die Königin spricht: „Herzliebste Mutter, ich habe dich' nicht gesehen.“ Während der Zeit haben sich die Henker gequält, den Scheiterhaufen anzustecken, er hat aber nicht anbrennen wollen. Da spricht die grüne Jungfer: „Weil du nun so verschwiegen gewesen bist, und dich selbst durch den schrecklichen Tod auf dem Scheiterhaufen nicht zum Ausplaudern hast bringen lassen, so bist du und bin ich und dein Mann, der goldene Hirsch dadurch gerettet. Hier hast du deine Kinder wieder“; da stehen in dem Augenblick drei wunderliebliche Knaben bei der angebundenen Königin, die umfassen ihre Kniee und rufen: „Mutter! liebste Mutter, wo ist unser guter Vater?“ Da umschlingt sie ihre Kinder, das Volk ist erst stumm und starr vor Verwunderung, reißt dann alle herunter vom Scheiterhaufen, und führt sie in Jubel dem staunenden Vater zu, und die Musikanten spielen lustige Stücke auf. Nun ist es aus.

Quelle: Sagen und Märchen aus dem Oberharz, gesammelt und herausgegeben von August Ey im Jahre 1862