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Die Wasserjungfer

Zu der Zeit, wie noch alles hier Urwald war, kam ein Rittersmann nach dem Harze, um zu jagen. Ehe er sich nun um und auf sah, hatte er sich verloren und konnte sich nicht wieder zurecht finden. Er ist schon mehrere Tage umhergestrichen und hat gar keinen Weg gefunden. Da kam er endlich an ein großes schönes Haus, das im Thal auf einer großen Wiese lag und rings mit Wasser umgeben war, und der Weg führte über eine Zugbrücke, die in die Höhe gezogen ist. Er ruft, er pfeift, er wartet. Es läßt sich nichts darin hören, es scheint, als wäre das Haus ausgestorben. Ei, denkt er, das kann doch nicht leer stehen; wer muß sich doch sehen lassen. Du sollst dich hier hinein setzen und warten, bis Jemand kommt.

Da sitzt er denn und wartet, im Schlosse bleibt alles still. Endlich reißt ihm der Geduldsfaden, er will eben aufpacken und sich wieder fort machen, da sieht er aus dem Walde ein bildschönes Mädchen kommen und auf die Brücke zugehen. Halt, denkt er, die weiß Bescheid, die wird auch wohl hineinkommen. So kommt's auch. Wenige Schritte von ihm entfernt redet er das Mädchen an und spricht, er habe sich im Harzwalde verirrt, schon acht Tage im Freien campirt und sehne sich recht darnach, eine Nacht einmal wieder unter Dach und Fach zu schlafen. Drei Stunden habe er bereits hier um Einlaß gebeten, kein Mensch hätte sich aber sehen noch hören lassen. Ob sie wohl nicht so gut wäre und für ihn um Einlaß bäte, wenn sie hinein käme. O, sagt sie, das wäre nicht nöthig. Er solle nur gleich mitgehen; sie brauche keinen zu bitten, sie selbst habe darüber zu bestimmen. Darauf tritt sie auf einen Stein, der vor der Brücke in die Erde gemauert ist, und sogleich fällt die Brücke nieder. Darauf holt sie einen großen Schlüssel hervor, schließt das Thor auf und beide gehen durch einen großen Hof in's Haus.

Sie führt den Rittersmann in ein schönes Zimmer und sagt, er möge es sich wohlgefallen lassen. Sie wolle erst hingehen und ein ordentliches Abendbrot zurecht machen; denn er würde sich wohl nach etwas Warmen sehnen, sie habe auch großen Appetit; da sie keine Dienerschaft hätte, so müsse sie alles allein thun. Damit geht sie zur Thür hinaus, bleibt eine kurze Zeit aus, dann kommt sie wieder mit schönem Braten, Kuchen und vielen Leckerbissen. Sie deckt selbst den Tisch, dann nöthigt sie ihren Gast, ordentlich zuzuholen und der läßt sich's auch nicht zweimal sagen.

Nachdem sie gegessen haben, sitzen sie noch beisammen und plaudern mit einander. Da bedauert der Rittersmann das freundliche Mädchen, daß es hier so allein wohne; da müsse ihm die Zeit doch recht lange dauern. O nein, sagt es, lang dauere ihm die Zeit nicht, doch wünsche es sich wohl manchmal ein wenig Gesellschaft zu haben; da das aber nicht wäre, so füge es sich darin. Darauf antwortet der Rittersmann, wenn es ihr recht wäre, so blieb er einige Tage hier, ihr bloß zur Gesellschaft. O, sagt die Wirtin, das wäre ihr recht lieb. Nun bleibt der Gast ein, zwei und drei Tage, und sie gewöhnen sich beide so aneinander, daß am Ende der Ritter sagt: ob sie nicht Lust hätte, seine Frau zu werden. Da freut sich das Mädchen und spricht, das würde sie mit Freuden werden, wenn er ihr versprechen wolle, daß sie alle Freitag ausgehen und machen könne, was sie wolle, und daß er ihr dann nicht nachgehen und sie aufsuchen wolle. Das verspricht er ihr und darnach wird's ein Paar.

Lange Zeit haben sie recht zufrieden mit einander gelebt, niedliche Kinder gezeugt und nichts hat ihrem Glücke gefehlt. Da kommt einst ein fremder Ritter als Gast, es ist gerade Freitag gewesen, der erkundigt sich bald nach seiner Ankunft nach der Hausfrau, weil die nicht zum Vorschein kommt. Dem antwortet der Hausherr, Freitags ließe sich seine Frau nicht sehen und er habe sie auch bis dahin noch nicht gesucht, wie er versprochen habe. Darauf sagt der fremde Ritter, das wäre aber auch eine rechte Hausfrau, die ihren Mann nicht einmal wissen ließe, wo sie zu finden wäre; das wäre höchst häcklich.

Die Rede schnuppt dem Hausherrn so in die Nase, daß er gleich hingeht und seine Frau aufsucht. Nach vielem Suchen geräth er auch in den Keller, findet da eine Thür, macht sie auf und sieh, da ist ein kleiner Teich, darin schwimmt seine Frau halb Fisch halb Mensch. Als sie ihren Mann sieht, wirft sie ihm einen traurigen und ernsten Blick zu, und verschwunden ist sie. Als der Mann ganz bestürzt wieder herauf kommt und die Erscheinung dem fremden Ritter sagen will, da ist auch der verschwunden. Nun merkt der arme Mann, daß er mit sammt seiner Frau von dem Fremden scheußlich beschuppt und in's Unglück gestürzt ist. Darnach grämt er sich so sehr über seine gute Frau, daß er bald darauf stirbt. Auch die niedlichen Kinder sterben eins nach dem andern und das Schloß ist verfallen. Ja man weiß nicht einmal, wo es gestanden hat. Nur die Geschichte davon ist geblieben.

Quelle: Sagen und Märchen aus dem Oberharz, gesammelt und herausgegeben von August Ey im Jahre 1862