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Der Wassermann (Ey)

Wenn man von Zellerfeld nach Schulenberg geht, liegt rechts ab vom Wege, wo man eben in den Wald hineintritt, ein Tal, dass das Lange Tal heißt. Oben in der Spitze desselben steht jetzt noch ein Sumpf Wasser hinter durchfurchtem Teichdamm, welcher der Lange Teich genannt wird. In diesem Teich hat der Wassermann vor vielen Jahren seinen schönen Kristallpalast gehabt, und, das versteht sich von selbst, darin wohnte er. Wie er daraus vertrieben wurde, das wird so erzählt:

Einstmals gehen ein paar Mädchen aus Zellerfeld dahin und wollen trockenes Holz holen. Beide sind flink, jung und hübsch. Als sie auf den Teichdamm treten, so steigt aus dem Wasser halb herauf ein Mann, sein Haar ist grün und trieft von Wasser. Seine Brust ist breit und hochgewölbt und sein Gesicht freundlich und gut. Ja die Mädchen, obgleich sie sich erst erschreckt haben, freuen sich über ihn. Das geht aber so geschwind, dass man es kaum sagen kann. Der Mann – es ist nämlich der Wassermann gewesen – hat eine Rolle Band in der Hand, das glänzt und spielt in allen Farben. Dies Band wickelt er los und lässt es vom Wind den Mädchen über dem Wasser zuwehen. Als die Spitze den Damm erreicht, wo die Mädchen noch stutzig stehen, winkt er ihnen, das Band zu fassen.

Das älteste Mädchen, das so recht habgierig und putzsüchtig ist, greift gleich zu und wird auch in dem Augenblick an dem Band, das es nicht wieder loslassen kann, in das Wasser hinabgezogen, ohne dass es das andere Mädchen ändern kann. Mit dem Mädchen verschwindet aber auch der Wassermann in dem Wasser. Das zurückgebliebene Mädchen läuft, was es laufen kann, nach Hause und erzählt dem Vater des verunglückten Mädchens, was passiert ist. Der nimmt gleich seine sieben Söhne, jeder mit Kratze und Trog und einer Axt versehen und fort geht es zum Langen Teich. Als sie aber hinkommen, sehen und hören sie nichts von dem Mädchenräuber. Sie sehen so lang, sie sehen so tief in den Teich, können aber nichts wahrnehmen.

Da spricht der Vater: »Kommt, lasst uns den Damm durchgraben, dass das Wasser aus dem Teich fließt, dann werden wir auch den Dieb darin finden.«

Mit aller Kraft und Eile beginnt die Arbeit und in Kurzem fließt das Wasser schon durch die Rinne und hilft mit, den Damm zu durchbrechen. Das Wasser nimmt zusehends ab und schon sieht man die Spitze eines Kristalldaches aus der Oberfläche des Teiches und noch immer arbeiten die acht rüstigen Männer. Endlich, da sie dem Wasser die Durchbrechung des Dammes allein überlassen können, gehen sie mit ihren Äxten an den Berg und hauen große Tannenbäume um. Diese prasseln mit Gekrach den steilen Abhang hinunter, werden auf den Teichdamm vollends hingezogen und dann in den Teich auf das heraussehende Dach geschoben. So ist bald die Brücke dahin gelegt und der Älteste der Söhne geht mit seiner Axt im Arm darauf hin.

Da steht er nach wenigen Schritten oben über, wo der Wassergeist haust. Sein Blick schaut hinab in die Räume des Wassermanns. Der junge Bergmann sieht seine geraubte Schwester in den Armen des Unholds zusammenschrumpfen und dann gleich in eine gläserne Flasche tun, und die Öffnung verschließen. Augenblicklich aber schlägt der Bergmann das Dach mit seiner Axt ein. Es entsteht ein furchtbarer unterirdischer Donner und dabei steigt der Wassermann wie ein blauer Nebel aus dem zertrümmerten Dach in die Luft und verschwindet darin.

Zwei von den Brüdern, die am beherztesten gewesen sind, steigen hinein in das Innere des Kristallpalastes und eilen gleich zu der gläsernen Flasche, in welcher ihre Schwester in ein kleines Herz verwandelt ist, das aber noch schlägt. Der eine der Brüder nimmt die gläserne Kapsel von der Flasche und in dem Augenblick steigt eine kleine Flamme aus dem Gefäß empor, die sich mehr und mehr vergrößert, dann die Gestalt einer menschlichen Figur annimmt, und endlich die geraubte Schwester wird, wie sie leibt und lebt. Von Freude nehmen die Brüder das überglückliche Mädchen und tragen es aufs Trockene.

O wie freuen sich alle, wie freut sich das Mädchen, wie geht sie aus einem Arm in den anderen und der Jubel über die Rettung ist ohne Ende. Alle danken Gott innig dafür. Hierauf aber sagt das Mädchen, ihre Brüder möchten sich auch derer erbarmen, die noch da unten in eben solchen Flaschen schmachteten. Da gehen vier der Brüder hinunter in das Haus des Wassermanns, jeder rettet ein Mädchen und trägt es aufs Trockene. Es sind in allen sieben wundersam schöne Frauenbilder gewesen. Als nun alles, wovon man vermutet, dass es Leben hat, aus dem Palast gebracht ist, da wird das prächtige Haus auf den Rat des Vaters mit Äxten zertrümmert. Ein jeder aber, der daran mitgeholfen hat, nimmt ein Stück von der Kristallwand mit heraus. Den Teich verlassen alle, wie er damals war, und wie er jetzt noch ist. Jeder der Brüder hat das Mädchen angefasst, das ihm am besten gefiel, acht sind hingegangen voll Trauer und Herzeleid, sechzehn sind wieder gekommen voll Jubel und Fröhlichkeit.

Kurze Zeit nach dieser wunderbaren Rettung wird ein Hochzeitsfest gehalten, hier in Zellerfeld, wie es seit der Zeit nicht wieder vorgekommen ist, denn das gerettete Mädchen wird mit seinem Bräutigam, und die sieben Brüder mit ihren geretteten Bräuten auf einen Tag ehelich verbunden. Als man am Abend, wo die ganze Gesellschaft in einem großen Haus versammelt ist, auf die Begebenheit zu sprechen kommt, der man das Fest verdankt, so will man den fremden Gästen auch Schein und Beweis davon geben, und jeder der glücklichen jungen Ehemänner holt das Stück Wand her, das er sich vom Kristallpalast des Wassermanns abgeschlagen hat. Da entstehen aber neue Freude und neuer Jubel und Bewunderung, denn die großen dicken Eisplatten haben sich in dicke und schwere Silberplatten verwandelt. Dadurch ist die ganze große Familie wohlhabend und reich geworden.

Seit der Zeit hat sich aber der falsche Wassermann nie wieder im Langen Teich sehen lassen. So oft man aber dahin kommt und den Teichdamm ansieht, der jetzt noch durchbrochen ist, und das Wasser, das noch immer so unheimlich aussieht, so denkt man jedes Mal mit Schrecken und Freude an diese Begebenheit. Das war die merkwürdige Geschichte vom Wassermann.

Quelle: Sagen und Märchen aus dem Oberharz, gesammelt und herausgegeben von August Ey im Jahre 1862