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Der Schwarzkünstler (Harz)

In Osterode kamen vor langer Zeit zwei Schwarzkünstler zusammen. Es war am Markt in dem großen Gasthaus, das jetzt noch an der Sommerseite steht. Der eine hieß Teufelsklaue und hatte seinen zwölfjährigen Sohn bei sich. Der andere nannte sich Höllenblut und war allein. Letzterer wollte nach Göttingen, Ersterer nach Clausthal, um ihre Künste sehen zu lassen. Beide aber waren auch Meister in ihrem Fach, denn wer sie spielen sah, der sagte, sie ständen mit dem Teufel im Bündnis.

Nachdem sich beide begrüßt und in einem Nebenzimmer bei einer Flasche Wein über das dumme Volk lustig gemacht hatten, ließen sie sich Karten geben und fingen an zu spielen. Recht hoch, um viel Geld. Als sie aufhörten, war Höllenblut kahl, denn er hatte auch seinen letzten Taler verloren. Voll verbissenem Groll ging dieser mit Racheplänen zur Ruh. Beide sahen sich nicht mehr, denn am folgenden Morgen früh war Teufelsklaue zum Harz hin abgereist.

Höllenblut aber reiste auch anstatt nach Göttingen, nach Clausthal, um jenem eine unverhoffte, tüchtige Schlappe beizubringen. Nachdem Teufelsklaue bekannt gemacht hatte, worin seine Künste beständen, wann und wo er spielen wollte, strömte alles hin, um das nie Gehörte und Gesehene, wie es der Zettel angab, mit eigenen Augen wahrzunehmen. Eine halbe Stunde vor dem eigentlichen Beginn der Kunstvorstellung war der Saal und alle Plätze gepresst voll, sodass Teufelsklaue an der Kasse keinen mehr einließ. Viele mussten, ohne ihre Neugierde zu befriedigen, wieder nach Hause gehen.

Mit dem Schlag sechs verschloss der Künstler den Saal, sodass keiner hinein und keiner hinaus konnte. Kurz danach begann die Vorstellung. Als der Vorhang aufging, strahlte ein Lichtmeer von der Bühne und erleuchtete den ganzen Saal. Zwischen vielen blanken, farbigen und merkwürdig gestalteten Gefäßen, die alle schön geordnet aufgestellt waren, befand sich in der Mitte eine Blumenvase mit drei wunderschönen Rosen. Hinter jeder dieser Blumen sah man auf einem Springholz in der Mitte oben eine Taube, rechts einen Habicht und links eine Eule. Alle drei Vögel waren lebendig, kümmerten sich aber nicht umeinander.

Die erste Abteilung der Kunstvorstellung begann mit allerlei nicht so sehr wichtigen Kunststücken, endete aber mit großem Beifall. Dann folgte aber die zweite Abteilung, in der ganz unerhörtes geleistet wurde. Zum Beispiel hatte ein Mann auf dem ersten Platz die Uhr in der Tasche von einem, der auf dem dritten Rang saß. Ein goldbetresster, vornehmer Adliger hatte mit einem Mal einen alten Schachtkittel an, während der Bergmann die goldbetresste Kleidung des reichen Mannes anhatte.

Auf einmal schrie einer auf dem dritten Rang: »Karel, du host jo zwä Käpp!« Und alle blickten dorthin und lachten. Auf dem ersten Platz saß einer ohne Kopf – neues Erstaunen. Auf dem zweiten Platz streckte ein Mädchen die Arme empor und schrie: »Was soll ich mit sechs Händen!« Ein Herr im ersten Rang hatte vier Augen und zwei Hörner, eine Dame zwei Nasen, und ein allerliebstes Mädchen mit Blumen auf dem Hut und seidenem Zeug saß da, geziert mit einem kohlrabenschwarzen Bart und dergleichen mehr.

Man kann sich leicht denken, welch eine ungeheure Angst für die wenigen entstand, welche davon etwas gelöst hatten, welche Heiterkeit aber auch für diejenigen, die nichts dabei hatten. Kurze Zeit dauerte dieser Zustand, dann aber war auf Befehl des Künstlers mit einem Zauberschlag alles zu Ende.

Der dritte Akt sollte allem die Krone aufsetzen; denn darin nahm der Künstler seinen eigenen Körper und machte damit fürchterliche Kunststücke. Er stand auf der Bühne, bewegte den einen Arm und zum Schrecken aller Zuschauer flog derselbe von der Bühne einem Herrn im ersten Rang auf den Schoß. Ebenso ging es mit dem anderen Arm, und der grausige Mann stand da ohne Arme und aus den Löchern der Schultern quoll dickes Blut hervor. Doch auf Kommando kamen beide Arme wieder angeflogen und verfügten sich an ihre Plätze, als wäre nichts geschehen.

Dann nahm Teufelsklaue eine große Stopfnadel, durchstach das Fleisch des Unterarmes, dann das des Oberarmes, ließ beides mit dem starken durchgezogenen Zwirn fest zusammenziehen, und nach einer kurzen Weile war Ober- und Unterarm zusammengewachsen. Hierauf nahm er ein Messer und trennte beides wieder voneinander. Alsdann entblößte er seine Füße, holte beinahe zolllange Nägel herbei, schnitt sich das Fleisch von den Fußsohlen, nahm dann die Nägel und schlug dieselben in die blutenden Fußsohlen hinein, tanzte ganz vergnügt wohl drei Minuten auf der Bühne umher und wischte in einem Nu die Nägel aus ihren Löchern und beide Füße waren heil wie zuvor. Dann kamen noch manche andere schreckliche Künste, die aber vergessen sind.

Zuletzt nahm Teufelsklaue seinen Sohn, der ein schmächtiger, blasser Knabe war, entblößte dessen Hals, band ihm ein Tuch um seine Augen, legte ihn auf die Tafel und trennte mit einem furchtbaren Hieb dessen Haupt vom Rumpf, das sofort auf eine Schüssel sprang. Allgemeines Ach erfüllte den Saal. Man tröstete sich aber damit, weil alles gelungen wäre, so würde auch dieses Kunststück geraten. Einige Minuten danach nahm Teufelsklaue das Haupt seines Sohnes, aus dem das Blut noch strömte, richtete mit dem anderen Arm den toten Leib auf und versuchte, das Haupt daraufzusetzen. Vor Schrecken wurde er blass, denn der Kopf wollte nicht sitzen.

Voll Verzweiflung schrie er in den Saal hinein: »Um Gotteswillen, du, der du hier im Saal bist, und das Leben meines Sohnes bedrohst, lass ab von dem schrecklichen Unternehmen, hebe den höllischen Zauber auf.« Seine Bitte war aber vergebens, der Kopf wollte und wollte nicht festsitzen. Da sprang Teufelsklaue zum Fenster und riss es auf, machte ein verzweifeltes Zeichen, kam dann eilig zurück, riss eine Rose von den dastehenden, hinter welchen die Taube saß, heraus und zerschnitt sie in zwei Teile, worauf die Taube tot niederfiel und auch das Leben seines Sohnes verloren war. Dann riss er die zweite Rose heraus, fing an, Blatt für Blatt abzuschneiden, wobei ein fürchterliches Geschrei im Saal entstand, und die Eule Feder um Feder verlor. Gleich darauf tat er einen kräftigen Schnitt in die Rose und der Rumpf der Eule, wie deren Kopf stürzte und mit ihm zugleich ein menschlicher Körper im Zuschauerraum zur Erde. Hierauf nahm er die dritte Rose, tat einen kräftigen Schnitt hinein, und er und der Habicht mit dem Künstler fielen tot zur Erde.

Quelle: Sagen und Märchen aus dem Oberharz, gesammelt und herausgegeben von August Ey im Jahre 1862