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Das Meisterstück

Sonst hat vor jeder Stadt ein Galgen und ein Rad gestanden zum Beweis, dass die Obrigkeit das Recht über Leben und Tod der Einwohner gehabt hat und dann auch, dass es tüchtig was zu Hängen und zu Rädern gab. Die Galgen und Räder sind aber jetzt weg, dafür hat aber noch fast jede Stadt ihren Galgenberg oder Richtplatz und dergleichen Ortsnamen mehr in ihrer Nähe. Also sonst noch viel mehr als jetzt. Das Abtun der armen Sünder hat aber immer ein Scharfrichter oder Halbrichter verrichten müssen. Wer nun aber Scharfrichter hat werden wollen, der hat auch ein Meisterstück machen müssen, und das hat darin bestanden, einem armen Sünder den Kopf mit einem Hieb abzuhauen. Hat er das getan, so ist er Scharfrichter geworden. Hat er aber mehrere Male zuhacken müssen, so ist er nur Halbrichter geworden – so ist mir gesagt worden.

Hat denn auch einmal ein junger Mensch, der bei einem Scharfrichter gelernt und schon manchem Aufgehängten mit einem Hieb den Kopf abgehauen hat, kurz, der schon sehr geschickt und sicher im Kopfabhauen gewesen ist, der hat sein Meisterstück an einem armen Sünder öffentlich machen wollen. Man kann sich leicht denken, dass das ein knolliger Unterschied ist, einem Toten oder einem Lebendigen den Kopf abzuhauen, und dass solch ein junger Mensch, namentlich das erste Mal, fast ebenso ängstlich gewesen ist, wie der, der geköpft werden soll.

Der Scharfrichter, sein Lehrmeister, ist mit dabei und hat ihm ordentlich Mut eingesprochen, nur fest zu stehen, richtig zu zielen und kräftig zuzuhacken, dann müsse der Kopf mit Gewalt herunter. Der junge Mensch muss aber einen Feind gehabt haben, der mehr gekonnt hat, als Brot essen, der muss zwischen den Zuschauern gewesen sein und hat ihm den Schabernack gemacht. Als der arme Sünder auf den Richtstuhl gesetzt und vom Geistlichen eingesegnet wird, hat er natürlich nur einen Kopf, als ihm die Augen verbunden werden, auch noch. Als aber der junge Mensch das Richtschwert aus der Scheide zieht und sich nach dem armen Sünder hinwendet, hat dieser drei Köpfe auf dem Rumpf.

Ganz außer sich vor Schreck spricht der junge Mensch: »Der arme Sünder hat ja drei Köpfe!«

Da antwortet der Scharfrichter: »Nimm den mittelsten.«

Er haut zu und trifft den armen Sünder quer über den Rücken, in der Geschwindigkeit schlägt er nochmals zu und spaltet ihm die Schulter, dann hackt er zum dritten Male zu, diesmal zu hoch, recht tief in den Kopf hinein.

In seiner Verzweiflung säbelt er den Kopf des armen Sünders ab, sonst hätte er ihn gar nicht abgekriegt. Da greift aber das Volk nach Steinen, und der junge Mensch ist froh gewesen, dass er noch glücklich mit dem Leben davon gekommen ist, und hat sich aber nie wieder sehen lassen. So etwas ist sonst öfters passiert. Das hat man Geheimnisse und Künste des Teufels genannt. Wer keine Gegenmittel dagegen gehabt hat, der ist verloren gewesen.

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