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Der Schatz aus dem Bocksberg

Vor langen Jahren wohnten drei Bergleute in Hahnenklee, dabei kehrten von Zeit zu Zeit Venezianer ein, die die Schätze im Bocksberg aufsuchten und in der Regel auch so viel fanden, dass sie zufrieden zurückgingen. Aus ihrer Heimat brachten sie dagegen allerlei Medizinsachen mit, die gegen viele Krankheiten gut waren. An diesem Handel verdienten sie auch reichlich. Die Bergleute merkten aber bald, dass es dieser Handel nicht allein war, der sie herzog, sondern, dass ihr Hauptaugenmerk auf den Bocksberg gerichtet war, und jedes Mal, wenn sie kamen, erst Erkundigung einzogen, ob schon vor ihnen Landsleute von ihnen hier gewesen wären und den Bocksberg besucht hätten. War das zufällig geschehen, so wurden sie jedes Mal recht verdrießlich. Waren aber keine vor ihnen da gewesen, dann sahen sie stillvergnügt aus. Es musste der Bocksberg also für sie wichtig sein.

Als sie einst wieder da waren, sich so wie früher erkundigt hatten und in mondheller Nacht zu dem Bocksberg machten, stach ihnen einer von den drei Bergleuten, die beiläufig gesagt, Kameraden waren, nach und sah, dass sie am Bocksweg an einer abgelegenen Stelle den Boden aufgruben und aus dem Loch Erde in ihre Beutel füllten. Der Nachstecher hatte genug gesehen und sich genau die Stelle bezeichnet, wo das geschehen war. Er eilte, dass er früher nach Hause kam, wie die Venezier.

Am folgenden Tag reisten diese ab, und die Bergleute verabredeten gleich, denselben Abend den Ort aufzusuchen und nachzusehen, was es da zu holen gäbe und sprachen schon von dem Reichtum, der sich da finden würde.

Der dritte aber sagte: »Ich gehe nicht mit, denn
Was mir Gott hat zu gedacht,
das wird mir ins Haus gebracht.«

Die beiden anderen Bergleute gingen deshalb allein hin, suchten an dem Platz, fanden aber nichts. Sie wollten am Ende aufhören und waren eben im Begriff, das Gezäh verdrießlich zusammenzunehmen.

In dem Augenblick aber tat der Eine noch einen derben Hieb in die Erde und rief voll großer Freude: »Hier steckt etwas.«

Nochmals fingen sie an zu graben und brachten zuletzt ein Gerippe heraus. Sie waren ungewiss, ob es von einem Reh oder von einer Ziege stammte. Waren sie vorher schon verdrießlich, so waren sie es jetzt noch mehr. Trotz des Ärgers lachte aber doch der Eine über den Anderen, nämlich von wegen der Täuschung.

»I«, sagt der Eine, »unser Kamerad muss aber auch seinen Teil davon haben. Wir wollen ihm das Gerippe ins Haus bringen. Er ist angefahren, seine Frau liegt diesen Abend im Bett, die Türen sind offen. Deshalb können wir es ihm ungesehen in die Stube bringen.«

Als es Nacht wurde, brachten sie richtig das Gerippe in die Stube ihres Kameraden und fuhren von da weg an. Ihren Kameraden fanden sie noch auf dem Gedinge, er hat sich redlich gequält und seine Löcher haben tüchtig gehoben.

Als sie ankamen, fragte er gleich: »Na, habt ihr eure Scheuern voll, ich glaubte, ihr brauchtet nicht wieder ein Fäustel in die Hand zu nehmen.«

»Ach«, antworteten diese, »lass dein Spotten, wir hätten besser getan, wenn wir angefahren wären.«

Darauf arbeiteten sie bis um zwölf, dann machten sie Schicht, gingen miteinander nach Hause, und jeder suchte sein Quartier. Als der Dritte mit brennendem Licht in seine Stube trat, so war er ganz erstaunt, denn ringsum im Zimmer standen auf Tischen, in den Fensterbänken, auf den Kannelbrettern lauter prächtige Nippesfiguren aus purem Gold und Silber: Hirsche, Rehe, Schweine, Kühe, Kälber, Ziegen, Vögel usw. Er konnte sich nicht sattsehen, nahm eine Figur nach der anderen, wog sie in der Hand und wunderte sich über die Schwere und Schönheit des Dinges. Nachdem er alles durchgemustert hatte, legte er sich zu Bett und dachte, deine Frau kann sich morgen auch erst darüber wundern, wo das hergekommen ist.

Vom Gerippe war aber nichts zu sehen gewesen.

Am anderen Morgen, als die Frau aufstand, in die Stube trat und den Gold- und Silberreichtum gewahr wurde, lief sie gleich zurück in die Kammer, weckte ihren Mann und fragte: »Mann, wo hast du die schönen Sachen her?«

Der aber antwortete: »Das hat mir mein lieber Gott ins Haus gebracht!« Drehte sich gemächlich um und schlief weiter.

Die Frau verschloss und verriegelte alles und besorgte ihre häuslichen Geschäfte. Kaum war es Frühstückszeit, der Mann aufgestanden und hinausgegangen, um sich Waschwasser zu holen, so kamen die anderen beiden Kameraden und wollten sich bloß das Bündel voll Schelte holen wegen des Schabernacks.

Anstatt dass aber ihr Kamerad ärgerlich aussah, ging er ihnen freundlich entgegen und sprach: »Kameraden, was ich euch gesagt habe, so ist es gekommen. Mein Gott hat mir großen Reichtum ins Haus gebracht. Kommt herein, ihr sollt euren Teil davon haben.«

Darauf führte er sie in die Stube, sie wurden stumm und starr, dann sagte er: »Du Kamerad nimmst diese, du die Seite. Ich behalte diese hier, dann hat ein jeder so viel, dass er ferner nicht den Bohrer zu gerben braucht.«

Beide dankten ihrem Kameraden für das große Geschenk und fragten zuletzt, was er mit dem Gerippe angefangen habe. Er aber wusste nichts davon. Da sagten sie es ihm, was sie getan hatten.

Er aber hörte gar nicht darauf und antwortete bloß: »Tut nichts. Jeder packt seinen Reichtum zusammen und trägt ihn nach Hause.«

Er war schwer gewesen, so schwer, dass er kaum fortgebracht werden konnte. Später hatten die drei ihre Goldtiere nach Goslar verkauft, auch der Herzog von Braunschweig hatte einige bekommen. Sie erhielten dafür so viel Geld, dass sie reiche Leute geworden und auch geblieben waren. Von der Zeit an hatte keiner einen Venezier wieder auf dem Bocksberg gesehen. Die Schätze im Bocksberg bleiben aber auch so lange verschlossen, bis hundert Jahre lang kein vierbeiniges Tier den Bocksberg betritt. Das ist aber noch lange hin.

Quelle: Sagen und Märchen aus dem Oberharz, gesammelt und herausgegeben von August Ey im Jahre 1862