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Der Gottlose und der Fromme

Zwei Handwerksburschen reisten miteinander und nährten sich vom Fechten. Einer war ein listiger und gottloser Mensch, so, was man einen Pfiffikus nennt; der andere recht einfältig, dabei gutwillig und fromm, oder ein gutmüthiger Einfaltspinsel, daher mußte er immer das Bad austragen und bekam dazu die schlechtesten Bissen; trotzdem war er aber doch immer zufrieden.

Einst kamen sie in ein Wirtshaus. Dach und Fach mußten sie haben; denn es war barbarisch kalt, und Essen und Trinken hatten sie auch nöthig, wollten sie nicht höllig zur Ruh auf's Stroh gehen. Wo aber Geld hernehmen, keiner hatte einen Pfennig in der Tasche. Der Gottlose wußte Rath und sagte: „Will der Wirt die Zeche bezahlt haben, so muß einer von uns seinen Rock Lassen. Wer soll denn aber seinen Rock ausziehen?“ antwortete der Fromme. „Wer anders, als du,“ sagte der Gottlose. Als sie am andern Morgen nach ihrer Zeche fragten, sagte der Wirt, sie sollten gar nichts bezahlen. Gott habe ihm vor Jahren von einer Krankheit geholfen, dafür habe er gelobt, jeden Gast, der an dem Tage, so wie gestern, bei ihm einkehrte, freie Zeche und Nachtquartier zu geben, und das habe er immer so gehalten. Die Handwerksburschen dankten und giengen ab.

Unterwegs sagte der Gottlose: „Hör, Kamerad, das Fechten geht schlecht, wir haben ja oft nicht den Bissen Brot, den wir gebrauchen. Besser würde es damit gehen, wenn einer von uns blind wäre und würde von dem andern geführt, das Erbarmen und die Almosen wären dann größer.“ „Ja,“ sagte der Einfaltspinsel „wer von uns soll sich dann blind machen lassen?“ „Natürlich du“, sagte der Gottlose „du kannst dich doch nicht so finden, als ich.“ Der Einfältige war's zufrieden, gab sein Augenlicht preis, und ließ sich die Augen ausstechen.

Anfangs hatte er nichts Arges daraus, weil ihn sein Kamerad immer führte und sie immer tüchtig was zu Leben und auch Geld hatten. Als er aber keinen Tag wieder sah und immer schlechter von seinem Kameraden behandelt wurde, am Ende auch nicht einmal satt zu essen bekam, da fieng er an zu murren, und war nicht mehr mit seinem Schicksale und Kameraden zufrieden. Wenn er denn einmal so herausfuhr voller Gift und Galle, so antwortete der Gottlose: „Einfaltspinsel, halt's Maul, oder ich laß dich sitzen und sollt's unterm Galgen sein.„ Der Blinde aber meinte, es wäre nur eine Antwort auf seine Worte und hörte nicht auf zu brummen.

Sie waren auf der Reise und hatten schon einen langen Weg gemacht, da fragte der Blinde, kommen wir noch nicht bald in's Quartier? Doch, sagte der Gottlose, wir sind schon vor der Thür. Komm, set dich hier auf den Stein, ich will den Wirt rufen, ob wir hier bleiben können. Der Blinde sezte sich nieder auf den Stein und wartete und wartete. Wer aber nicht wieder kam, das war der Gottlose. Endlich fieng der Blinde an zu rufen, es hörte aber Niemand, so blieb er sizen, es war alles todtenstill um ihn. Am Ende hört er ein Gefliege und Geflatter in der Luft und dann drei Rabenstimmen. Die Thiere sezten sich über ihn hin. Da fängt der eine Rabe zum andern an: „Weißt du nichts neues?“ „O, doch, diese Nacht fällt ein Thau, mit dem kann sich jeder Blinde sehend machen, wenn er sich davon etwas in die blinden Augen wischt.“ „Das ist gut,“ sagte der andere, „wenn's nur alle Blinden wüßten.“ Da antwortet der Erste wieder, „der Blinde hier unter dem Galgen, der hört's, kann's benutzen“.

Drauf sagt der zweite Rabe: „Ich weiß auch, woran es liegt, daß jetzt die Stadt kein Wasser hat und deshalb so gräßliche Noth darin ist. Es sitzt nämlich ein dicker Lork (Kröte) vor der Quelle, dort oben am Berge, woraus die Stadt bisher ihr Wasser bekam. Wer den Lork mit einer glühenden Zange davor wegreißt und tödtet, der versorgt dadurch die Stadt mit Wasser.“ Der dritte Rabe aber spricht: „Ihr wißt, daß der König krank ist, und kein Arzt kann ihm noch helfen. Wer aber drei Bissen von dem Brot, das vor ihm gelegen hat, nimmt, das zu Pulver brennt, und ihm auf dreimal eingiebt, der rettet dem Könige das Leben.“ Darauf fliegen die drei Raben weg. Der Blinde hat aber alles gehört und sich gut gemerkt. Das Nächste ist, als er fühlt, daß der Thau fällt, sich gleich etwas davon auf seine Augen zu wischen. Es geschieht Wunder, er bekommt sein Augenlicht wieder. Nun sammelt er aber auch noch von dem Thau ein Medizinglas halb voll, damit hat er später noch viele andere wieder sehend gemacht.

Hierauf geht er zur Stadt auf's Rathhaus und spricht: er wolle die Stadt wieder mit Wasser versorgen, was sie ihm geben wollten? Da versprachen sie ihm, er solle haben, was er fordere, wenn sie nur Wasser bekämen. Er läßt sich nun eine Zange machen und geht zu der versiegten Quelle. Richtig, es sitzt ein großer Lork davor. Der Handwerksbursche reißt ihn davor weg und gleich sprudelt das Wasser wieder aus der Erde. Dem Thier giebt er aber den Genickfang, daß es nicht abermals die Quelle verstopfen kann. Reich belohnt geht er nun nach der Stadt, wo der König wohnt, der krank ist.

Hier läßt er sich schöne Kleider machen, schafft sich Kutsche und Pferde an und auch einen Bedienten und fährt dann in vollem Galla zum König, läßt sich anmelden und sagen: Ein Doctor wäre da, der den König gesund machen wolle. Der König will erst nicht daran und sagt, ihm könne doch Niemand weiter helfen, als der Sensenmann (Tod.) Doch unser Doctor läßt sagen, er möchte es doch nur noch einmal versuchen, er solle sehen, er würde wieder gesund. Da muß er denn hinaufkommen, er frägt hin und her, nach diesem und jenem (das hat aber nur so etwas sein sollen), dann läßt er sich von dem Brote, das vor dem König gestanden hat, ein Stückchen geben, fährt nach Haus, brennt es zu Pulver, kommt dann wieder und giebt dem König davon ein.

Kaum hat er's genommen, da wird's schon etwas besser mit ihm. Bald nachher muß er nochmals etwas davon nehmen. Darnach kann der König schon aufstehen und nach dem dritten Mal Einnehmen ist er ganz correkt. Nun will er den Doctor königlich belohnen. Doch dieser sagt, er möchte ihm nur ein gutes Wirtshaus schenken, in dem er sein Brot hätte. Dazu sagte der König gern ja. Nachher, als der Doctor schon lange Zeit Wirt gewesen ist und Frau und Kinder hat, dabei auch reich ist, kommt eines Abends ein recht zerlumpter Mensch in die Gaststube und bittet um Gotteswillen um ein Nachtquartier. Das wird ihm auch gegeben, und an demselben Abend, da stellt es sich heraus, daß der Bettler der Gottlose gewesen ist, der erst mit dem Wirt das alles aufgestellt und ihn so betrogen hat. Der Wirt läßt's ihm aber nicht entgelten, sondern behält ihn.

Am andern Morgen kommen aber die Haltefeste und nehmen unsern Gottlosen und bringen ihn in Gewahrsam. Zulezt ist er noch am Galgen zur Ruhe gekommen, denn er hat einen andern Handwerksburschen todt geschlagen und ihm sein bischen Armuth abgenommen und dabei ist ihm der Arm der Gerechtigkeit zu nahe gekommen. Da hat er auch sein Recht bekommen.

Quelle: Sagen und Märchen aus dem Oberharz, gesammelt und herausgegeben von August Ey im Jahre 1862