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Sage des Monats August 2022

Der Bielstein

Ein junger Bergbursche hatte sich bei Lautenthal verloren und konnte und konnte sich nicht wieder finden. Nach vielem Bergauf- und Bergabklettern kam er dahin, wo der Bach herunterfließt, er wird die Laute genannt, da wo die hohen Felsen stehen. Er wusste immer noch nicht, wo er war. Es wurde schon finster und die Vögel hatten auch die Köpfe schon unter die Flügel gesteckt und fingen an zu schlafen. Da hörte er mit einem Male eine Rabenstimme, die krächzte ganz gefährlich. Er wandte sich um und sah einen großen Raben, der ein goldenes Halsband umhatte, und auf dem Rücken ein allerliebstes Mädchen. Das Mädchen stieg vom Raben ab, der Bergbursche nach ihm hin. Das niedliche Kind kam auf ihn zu, reichte ihm die Hand und sprach, er solle mit ihm gehen. Natürlich tat er es und ging mit. Es führte ihn an den Felsen, zog ein Stöckchen aus dem Busen und klopfte dreimal an den Stein, da tat sich der Felsen auf, und sie gingen miteinander hinein.

»Ach«, sagte das Mädchen, »mein Lieber, willst du mir einen Gefallen tun und mich unglückliches Geschöpf erlösen? Ich bin von einer bösen Hexe verwünscht und kann nur alle hundert Jahre einmal drei Tage Mensch werden. Jetzt ist schon der zweite Tag vorbei, morgen ist der Letzte. Dann muss ich wieder hier in diesem dunklen Felsen sitzen und hundert Jahre warten, ehe ich wieder Mensch werde, wenn mich keiner bis morgen erlöst.«

»Ja«, sagte der Bergbursche, »wie kann ich dich denn erlösen?

»Ach«, sprach sie ganz traurig und betrübt, »komm morgen mit drei weißen Rosen hierher. Die Höhle wird offen sein. Du musst dich aber nicht fürchten, auch bei Leibe nicht sprechen. Dann machst du ein Feuer hier auf dieser Stelle an, das Holz musst du mit hereinbringen und wirfst die drei Rosen ins Feuer, sodass sie verbrennen. Dann bin ich erlöst und du wirst recht reich und glücklich.«

Der Bergbursche versprach ihr, er wolle alles tun.

Nun standen da große Truhen voll Gold und schöner Edelsteine.

»Hier«, sagte sie, »nimm dir einstweilen, soviel du willst, damit du siehst, dass ich es treu meine, und du bist gewiss auch treu und hältst Wort.«

Er schwor sogar, dass er Wort halten wolle. Darauf steckte er sich die Taschen voll Gold und Edelsteine. Dann brachte ihn das Mädchen auf den rechten Weg, dass er sich nach Haus finden konnte. Er war gar nicht weit von Lautenthal gewesen und wusste nun gleich Bescheid. Am nächsten Morgen lief er in ganz Lautenthal herum, und konnte erst keine einzige, viel weniger drei weiße Rosen auftreiben; denn es ist Winter gewesen, wo man keine weißen Rosen hat. Endlich bekam er doch noch seinen Willen und freute sich wie ein König, dass er noch drei weiße Rosen bekam. Es war schon Dämmerung gewesen und höchste Zeit. Nun lief er gleich hin zu dem Felsen, den man heute den Bielstein nennt, und fand ihn offen vor.

Er suchte sich erst einen Armvoll Äste. Stahl, Stein, Schwamm und Schwefelsticken hatte er auch mit und ging in die Höhle. Es war noch alles wie am vorherigen Tag, nur das hübsche Mädchen war nicht da. Er legte nun das Holz zurecht und machte Feuer. Wie er aber den Schwefelstock anstecken wollte, kam ein furchtbarer großer Kerl und gab ihm eine Ohrfeige, dass ihm Hören und Sehen vergingen, und er besinnungslos zur Erde fiel. Wie lange er da gelegen hatte, das wusste er nicht. Endlich machte er sich auf und kroch heraus und nach Hause. Von der Zeit an hatte er nur alle Tage ein paar Worte sprechen können, sonst ist er stumm geblieben. Nach und nach hatte er die Geschichte erzählt. Zu arbeiten hatte er nicht gebraucht, denn er konnte von dem Geschenk gut leben. Alt ist er aber nicht geworden. Und von dem hübschen Mädchen hat keiner wieder was gehört und gesehen. Es sitzt wahrscheinlich noch im Bielstein.

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