<<< zurück | Sagen und Märchen aus dem Oberharz | weiter >>>

Der Zauberring

Ein Bergmann hatte lange Weile. Ei, dachte er, du gehst hinaus in den Wald und holst dir ein Schulterstück – eine Stange Holz. Die Pfeife wurde angesteckt, Tabak in den Beutel getan und nun soppte er langsam die Schulenberger Höhe hinauf und in den Wald hinein. Dort wusste er zwei trockene Bäume, von grünen durfte er nicht, sonst bekam er mit dem Förster Krakeel. Er kam bald hin; aber es stand nur noch ein trockener Baum. Der andere war ein Apfelbaum und daran hingen mehrere Äpfel. Spaßeshalber musst du dir doch einen Apfel davon mitnehmen, denn Apfelbäume im Tannenwald, das ist eine große, eine sehr große Seltenheit hier im Harz, dachte er. Er schlug sich also einen Apfel mit der Stange ab und steckte ihn ein. Darauf machte er sich sein Schulterstück zurecht, huckte es auf und ging nach Hause. Im Holzschauer setzte er es in die Ecke und dachte: Morgen holst du dir noch eins und so alle tage bis zum Sonnabend, dann schneidest du es und kriegst dann schon ein artig Teil Winterholz. Er ging in die Stube, holte seinen Apfel aus der Tasche und wollte ihn essen. Als er hineinbiss, kam er auf etwas Hartes, und siehe da, es steckte ein goldener Ring darin.

Hättest du dir doch alle Äpfel abgeschlagen, so hättest du heute genug verdient. Es war wohl noch Zeit. Er machte sich gleich noch einmal fort, war auch bald wieder dort. Aber wer nicht dort war, das war der Apfelbaum mit seinen Äpfeln.

Nimmst du dir ein Schulterstück wieder mit, so hast du doch etwas für deinen Weg.

Er steckte den Ring an den Finger. Bisher hatte er ihn in der Hand gehabt, oft besehen und sich darüber gefreut. Nun steckte er ihn an, denn sonst wäre er ihm im Weg gewesen. Er lud wieder auf und fort ging es wieder nach Hause. Unterwegs begegneten ihm Leute, die liefen weg. Er wusste aber nicht warum. Wie er nach Zellerfeld kam, liefen die Alten und die Jungen vor ihm weg. Er wusste nicht, warum. So ging’s auch, als er auf den Hof kam, und seine Kinder da waren, die ins Haus liefen. Er weiß aber noch nicht, warum. Zuletzt ging er in die Stube, wo seine Frau und Kinder waren.

Er fragte: »Worim laft ihr denn vor mer wack?«

Da wollten sie auch alle wieder ausreißen. Er riegelte aber die Tür zu. Da klärte es sich auf. Sie hörten ihn wohl, konnten ihn aber nicht sehen. Das ist so schaurig gewesen.

Da fiel ihm der Ring ein. Er zog ihn ab, und da sahen sie ihn in der Stube stehen. Nun erzählten ihm seine Kinder, da wäre ein Stück Holz durch den Torweg gekommen, das hätte in der Luft geschwebt und niemand hätte es getragen. Auch wäre es so in den Holzstall gegangen und hätte sich in die Ecke gestellt. Darum wären sie vor Furcht hineingelaufen. In der Stube hätten sie seine Stimme gehört und ihn nicht gesehen, da wären sie noch banger geworden.

Nun wusste er Bescheid. Der Ring machte ihn unsichtbar.

Damit hatte der Bergmann denn manches belauscht und vieles gesehen, was andere nicht gesehen haben. Als er aber gestorben war, war der Ring auch nicht mehr da.

Quelle: Sagen und Märchen aus dem Oberharz, gesammelt und herausgegeben von August Ey im Jahre 1862