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Hans Kühnburg

Zu der Zeit, als noch die Wölfe und Bären hier am Harz allein Herren gewesen sind und alles dicker Urwald war, bringt ein Mann, Hans Kühn hat er geheißen und in Herzberg gewohnt, seine beiden Pferde zum Bruchberg auf die Weide. Da es damals noch viel Wildbret gegeben hat, so haben jene Fresser sich daran was zugutegetan und selten andere Tiere und noch weniger Menschen angefallen. Deshalb hatte Hans Kühn sich und seine Pferde für gesichert gehalten und war dreist darauf in den Harz hinaufgeritten.

Dort angekommen, wo heute noch der Felsen steht, der Hanskühnenburg heißt, kam aber eine Schar Wölfe aus dem Dickicht mit furchtbarem Geheul, mit schrecklicher Eile auf ihn zugestürzt, dass er in seiner Herzensangst vom Pferd heruntersprang und so schnell wie möglich auf die Spitze des Felsen kletterte. Er war auch so glücklich, hinaufzukommen. Von dort oben ab sah er aber nun dem Kampf der Wölfe mit den Pferden zu. Die Pferde stellten sich mit den Köpfen zusammen, schlugen kräftig hinten aus und suchten sich ihrer Haut so gut wie möglich zu wehren. Die Menge der Feinde war aber zu groß, und die Bestien waren zu flink. An Entlaufen war nicht zu denken gewesen. Die Ungeheuer kreisten die armen Tiere enger und enger ein, bis sie diese zuletzt zerfleischt und getötet haben.

Darüber kam der Abend heran, und die Sonne ging herrlich unter. Da oben aber saß von großer Angst und Bangigkeit gequält unser Hans Kühn und durfte seine Burg nicht verlassen, die ihn schützte, denn die Wölfe umkreisten noch immer den Felsen und bewachten ihn dort, ohne abzulassen. Es wurde vollkommen Nacht, und die Bestien verließen den Felsen nicht. Der Morgen kam, der Abend brach wieder herein, immer waren sie noch da.

Der dritte Morgen begann zu leuchten, und die Wölfe gingen nicht weg, desto schlimmer wurde aber der arme Mensch von Durst und Hunger, von Angst und Not gequält. Alles Rufen, alles Schreien, Fluchen und Beten hatte nicht geholfen und er nahm sich vor, lieber dort oben zu verhungern, als von den Tieren sich zerreißen zu lassen. In der dritten Nacht endlich, da er es nicht mehr aushalten konnte, da er fast ohnmächtig zur Erde sank, fing er nochmals recht herzhaft um Hilfe an zu beten. Und siehe da, eine große Ohreule kam auf den Felsen zugeflogen, setzte sich bei ihm nieder und hatte eine Rute im Schnabel, welche sie vor sich auf die Erde legte. Nachdem sie sich zurecht geschüttelt und ihre Federn in Ordnung gebracht hatte, fing sie in einem tiefen Basston an zu reden.

»Du unvorsichtiger Mensch, warum bist du so dummdreist gewesen und hast dich ohne Waffen hier in diese unsichere und gefährliche Gegend gewagt. Eigentlich müsstest du hier verhungern und die Raben dein Fleisch verzehren. Doch dein und deiner Frau und Kinder Gebet ist zu herzlich und innig gewesen. Darum bin ich da, dir zu helfen. Siehe, diese Rute, die ich dir mitgebracht habe, bringt dich durch die Gefahren hindurch, welche dir durch die reißenden Wölfe bereitet werden.«

Er griff gleich danach und fühlte neue Kraft in seine matten Glieder dringen. Er fühlte neuen Mut und eine Belebung des Leibes, wie er sie zuvor nie gekannt hatte.

»Nimm das Kleinod in acht«, rief ihm die Eule im Wegfliegen zu und war verschwunden.

Er hatte aber die verhängnisvolle Rute in der Hand, traute sich selbst kaum und dem, was er gehört und gesehen hatte. Mit dem Zauberstab bewaffnet, stieg er von seinem Felsen herunter und ging dreist seinen Weg entlang. Und die Wölfe gingen ihm, ihrem Feind, aus dem Weg.

Quelle: Sagen und Märchen aus dem Oberharz, gesammelt und herausgegeben von August Ey im Jahre 1862