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Das Bleigießen am Andreastag

Am Andreasabend, das heißt, am Abend vor Andreastag, wird hier Blei gegossen, das ist eine bekannte Geschichte. Es versammelt sich das junge Mädchen- und Mannsvolk bei diesem und jenem, essen Honigkuchenkaltschale, tanzen, singen, spielen, werfen den Schuh, schütteln den Erbzaum, führen sich dabei an und verkürzen sich den Abend, bis die elf herankommt. Zuletzt wird Blei gegossen. Dabei ist Regel, niemand darf sprechen, sonst gilt es nicht, und der Guss gelingt nicht. Ist aber jeder still, so erfährt es aus der Gestalt, die das Blei beim Guss angenommen hat, ob das Mädchen einen Berg- oder Forstmann oder was es für einen Mann kriegt. Und umgekehrt, wessen Tochter der Junggeselle einmal heiratet.

Es soll schon oft eingetroffen sein und deshalb glaubt man es und gießt Blei. Also am Andreasabend sind einmal eine ganze Menge Mädchen allein in der Küche und wollen Blei gießen. Das eine hat schon gegossen und hat hübsche Tannenbäume gekriegt. Sie heiratet also einmal einen Förster. Die Zweite setzt eben das Blei in den Löffel, da fällt ein Menschenbein im Schornstein herunter und bleibt stehen, dann noch eins und bleibt dabei stehen. Nun kriegen sie es alle mit der Angst und wollen ausreißen, aber die Tür und die Fenster sind fest zu und sie können nicht weg. Danach fällt ein Rumpf im Schornstein herunter und auf die Beine und bleibt sitzen. Danach kommt ein Kopf und fällt auf den Rumpf und bleibt darauf sitzen. Dann fallen auch noch ein paar tüchtige Arme im Schornstein herunter und bleiben an dem Rumpf sitzen und so steht da ein langer, hämischer Kerl. Zuletzt kommt auch noch ein tüchtiger Prügel zum Schornstein herein und fällt dem Kerl in die Hand.

Und nun hätte man sehen sollen, wie erbärmlich der Kerl mit dem Knüppel auf die armen Mädchen losschlug, ja es war zum Gotterbarmen. Als sie nun alle windelweich geschlagen waren und halb tot auf der Erde lagen und schrecklich winselten und jammerten, da flog mit einem Mal der Knüppel, dann die Arme, dann der Kopf, der Rumpf und zuletzt die Beine wieder zum Schornstein hinaus. Die Leute kamen aus dem Haus alle in die Küche, fanden die Mädchen im Blut liegen, ließen sich die Geschichte von einem Mädchen erzählen, das am wenigsten geschlagen war und mit dem Bleigießen war es für diesmal verpfuscht. Zwei von den Mädchen sind am folgenden Morgen gestorben. Daran hatte aber eine in der Nähe wohnende Hexe schuld. Die Mädchen hatten ihre Tochter nicht mit beim Bleigießen haben wollen. Das hatte sie ihnen zum Possen getan.

Quelle: Sagen und Märchen aus dem Oberharz, gesammelt und herausgegeben von August Ey im Jahre 1862