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Die feurige Kröte

Es kam einmal ein Schneider nach Andreasberg, aber nicht ganz hin. Nein, bis auf den Frau Hollenplatz und da blieb er. Der Abend war so hübsch, zwar nicht finster, aber auch nicht hell, just wie eine hübsche Sommernacht auf dem Harz. Er dachte: Du sollst dich hier hinlegen, sparst du doch das Schlafgeld und wilde Tiere gibt es hier ja wohl nicht. Moos war bald so viel zusammengerupft, das Bett gemacht, er drauf und in ein paar Minuten hatte er mit der Welt nichts mehr zu schaffen. Fest schlief er, wie ein Ratz. Da war es mit einem Mal, als risse ihm jemand die Augen auf. Der Berg war ganz rot, wie der Himmel, wenn die Sonne untergehen will. Und doch sah er keine Flamme, nichts, wovon er so rot geworden war. Als er darüber verwundernd aufsah, bemerkte er, dass das Rote unten vom Berg kam und immer höher stieg, sodass eine gefährlich große Kröte den Berg herauf kroch und davon die rote Farbe des Berges herrührte. Er wollte auf, konnte aber nicht. Es war, als wäre er festgebunden an der Stelle.

Das Untier kam langsam immer näher und näher auf ihn zu. Natürlich bekam unser Schneider denn doch nicht gerade geringe Angst. Ein Schneider war ohnehin nicht beherzt. Was wollte er aber machen, er konnte nicht weg. Der Angstschweiß trat ihm auf den Leib, denn das Tier glühte über und über und sperrte den Rachen weit auf. Den heißen Atem konnte man sogar sehen, und die Augen glotzten ihn an. Na, dachte er, die will dir zu Leibe, die macht dich kalt. Noch zwanzig Schritt ungefähr war sie von ihm, da schlägt es zwölf Uhr auf dem Turm des Glockenbergs. Als es den letzten Schlag tat, da war alles verschwunden auf einmal, und der Berg schwarz und finster. Die Sterne guckten hier und da aus den Wolken und jenseits, dort wo Morgen liegt, ging der Mond auf. Der Schneider konnte auch aufstehen und machte sich gleich nach Andreasberg hinein. Da begegnete ihm der Wächter, der blies zwölf. Der Schneider bat ihn, er möchte ihm doch ein Nachtlager verschaffen. Der brachte ihn hin zu seinem Nachtwächterquartier, und da blieb der Schneider bis des Morgens. Sagte aber da kein Wort, was ihm passiert war. Des anderen Morgens, so gegen zehn ging er zum Pastor und erzählte ihm den Vorfall auf dem Frau Hollenplatz. Der Pastor aber sagte, er wolle diesen Abend mit hin, dann würden sie sehen, was sich tun ließe. Der Schneider solle nur nicht bange sein. Die Kröte wäre gewiss verwünscht, und er der Schneider müsse sie erlösen. Dazu gehöre aber Herzhaftigkeit, auch dürfe er nicht sprechen, sonst wäre alles verloren.

Ja, sagte der Schneider, er wolle alle seinen Mut zusammennehmen. Es wäre die Kröte aber ein scheußliches Ungetüm.

Wenn es das auch wäre, sagte der Pastor, so müsse er es doch küssen.

Des Abends halb elf gingen sie miteinander zu der Stelle, setzten sich nebeneinander auf die Erde.

Der Pastor sagte nochmals zum Schneider: »Wenn ich nun in diesem Buche lese, so bist du ganz still, lässt kommen, was kommt, wenn dich die Kröte auch halb tot macht. Du sollst sehen, es ist dein und mein Glück, auch der Kröte ihres, dann sind wir alle reich. Dahinter steckt sicher etwas.«

Der Schneider versprach auch, dem Rat zu befolgen. So warteten sie, bis es elf schlug. Mit dem Schlag elf wurde der Berg nach und nach hell und heller und diesmal noch viel heller als das vorige Mal. Sie sahen schon die Kröte, wie sie am Berg langsam herauf kroch. Diesmal war sie auch viel feuriger und abscheulicher, kam auch schneller heran. Der Pastor las, was er konnte und versuchte den Schneider zu stärken, sah ihn öfter tröstend an und winkte ihm, dass er ja Mut behielte. Endlich kam sie so nahe, dass sie dem Schneider auf die Beine mit ihren glühenden Pfoten trat. Er fühlte den heißen, giftigen Hauch aus ihrem Feuerrachen. Sie stieg höher an ihn herauf. Ihm schlug das Herz.

Der Pastor las und sah ihn scharf an, als wollte er sagen: »Du, halt aus, zieh nicht weg.« Am Ende kam sie ihm fast an den Mund, ihr Hauch roch nach Schwefel, es dämpfte ihm bald den Atem ab. Da wollte sie ihn küssen. Aber nun konnte er es nicht mehr aushalten. Voll Abscheu wandte er das Gesicht weg und da schlug es zwölf. So wie es den ersten Schlag tat, da war alles verschwunden.

Der Pastor sagte voll Verdruss und Ärger: »Nein, so ein Narr, solch eine Memme, wie der Schneider wäre, gäbe es nicht weiter. Nur noch einen Augenblick hätte er aushalten sollen, so wäre alles geschehen.«

Der Schneider sagte aber, wenn er sich nicht abgewandt hätte, so hätte er ersticken müssen. Es war nun vergebens gewesen, sie gingen also miteinander nach Hause und am folgenden Abend um dieselbe Zeit nochmals hin.

Alles kam wieder so. Der Berg wurde aber diesmal so hell, dass es wie Tag gewesen war, und die Kröte brannte über und über. Der Schneider nahm sich vor, er will es diesmal besser machen. Hielt auch aus bis dahin, dass ihn die Kröte fast mit ihrem Rachen berührte. Da verließ ihn aber der Mut und er wandte das Gesicht wieder ab, und in dem Augenblick schlug es wieder zwölf und alles war verschwunden. Nun hörte man in der Ferne ein Heulen und Schreien, als wenn ein Mädchen heftig weint.

Da sagte der Pastor: »Jetzt ist alles vorbei und unsere Angst und Mühe war vergeblich, und das Geschöpf muss verwünscht bleiben.«

Von der Zeit an hatte man nichts wieder davon gesehen und der Berg war nie wieder rot geworden, außer am Abend, wenn die Sonne recht rot unterging, dann hatte auch wohl noch einmal der Berg etwas rot ausgesehen.

Der Schneider war weitergegangen, hatte aber den Vorfall in Andreasberg seinem Wirt erzählt, bei dem er die Tage hindurch gewesen war, und der hatte es wieder erzählt.

Quelle: Sagen und Märchen aus dem Oberharz, gesammelt und herausgegeben von August Ey im Jahre 1862