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Der Schneidergesell und der Geist

Ein Schneidergesell geht auf die Wanderschaft; denn Schneider müssen wandern, um ihr Glück zu machen. Gottesfürchtig wie er ist und fromm, besucht er die Kirche, wenn er Gelegenheit hat. Ist er auch einmal in eine Kirche gekommen und eingeschlafen; denn er hat schon einen ordentlichen Marsch gemacht, und der Pastor hat's so schön gemacht, daß die Leute in seiner Kirche recht leicht anfangen zu nicken und den Kopf zu hängen. So ist's auch unserm Schneider gegangen. Die Leute haben aber gewußt, wie lang sie ungefähr schlafen können, bis dahin, daß die Kirche aus ist; das hat aber der Schneider nicht gewußt, er hat deshalb fortgeschlafen, als die Kirche aus ist und auch zugemacht wird.

So schläft er bis Mitternacht. Da weckt ihn ein Geräusch in der Kirche unten. Er geht hinunter und wundert sich nicht wenig, daß da mitten im breiten Gang ein Sarg mit einem Leichnam steht und zwei Männer dabei sind, die die Leiche aus dem Sarge zerren und ihr das Leichentuch vom Leibe reißen. Es ist nämlich an dem Ort Mode gewesen, daß alle Gestorbenen eine Nacht in die Kirche gesetzt werden müssen, wo sie, wenn sie im Leben gut gewesen sind, bekränzt und belobt werden können; wenn sie aber schlecht waren, so hat man sie auch beschimpfen und beschämen können. Wie's denn mit dem Todten im Leben gestanden hat, das hat man dann am andern Morgen gesehen. Deshalb fragt der Schneider die beiden, die den Leichnam so lohnen wollen, was denn der todte Mensch Arges gemacht hätte, daß sie so arg ihm mitspielen wollten? Da antwortet der eine, er wäre ihnen mit achtunddreißig Thaler hingestorben, und sie müßten nun den Bart drum wischen, deshalb rissen sie ihn aus dem Sarge und seine Kleider aus.

Der Schneider hat gerade noch von seinem Erbtheil achtunddreißig Thaler, das ist sein ganzer Reichthum gewesen. Er besinnt sich kurz und spricht, er wolle für den Todten bezahlen, sie möchten dann aber den in Ruhe lassen. Damit sind die zufrieden, bringen alles wieder in Ordnung und so gehen die beiden mit dem Schneider aus der Kirche und dieser zum Thore hinaus. Kaum tritt er aus der Stadt an's Freie, so kommt noch ein Handwerksbursch hinter ihm her, sie begeben sich in's Gespräch und da erzählt denn der erste seine Geschichte von der verflossenen Nacht, sagt aber nicht, was er für den Todten gethan, sondern nur daß er die beiden von ihrem Vorhaben abgehalten hat. Da antwortet der andere, das wäre recht gut, das könne einmal für ihn gut sein; denn so etwas, das bliebe nicht unvergolten. Er wolle ihm einen Rath geben, wenn er den befolgte, so würde er glücklich werden zeitlebens. Erstens müßten sie Reisekameraden bleiben, wenn er (der zweite Handwerksbursch) auch einmal weg wäre, er käme gewiß bald wieder. Dagegen hat der Schneider nichts. Dann, wer ihnen an dem Tag begegne, der müsse mit und am Glück des Schneiders mitbauen. Das ist diesem auch recht.

Nun gehen sie miteinander fort und erzählen sich etwas; da kommt ein Mann, der hat zwei dicke Bäume unter dem Arm und einen beindicken Baum darum gewickelt. Der Handswerksbursch fragt, was er denn da hätte? Der Mann antwortet, er hätte nur ein bischen Herdholz geholt. Wenn er so stark wäre, daß er so große Bäume tragen. und so dicke umwickeln könne, so wäre es gut für sie, er möchte mitgehen. Der Mann thut's. Dauert's nicht lange, so liegt einer am Wege, der hat den Hut so schief auf. Den frägt der Handwerksbursch wieder, warum er den Hut so schief gesetzt hätte? Ja, sagte der Daliegende, wenn er den Hut gerad setzte, so würde es so kalt, daß vor Frost die Vögel aus der Luft herunter fielen. Das wäre gut, sagt der Handwerksbursch, er solle mitgehen. Der thut's auch.

Bald darauf finden sie einen, der hat ein hölzernes Bein. Der Handwerksbursch frägt, ob er nicht gut fort könne. Ach, antwortet der andere, gerade mit seinem hölzernen Beine könne er schneller laufen, wie irgend ein Mensch. Er möchte mitgehen, spricht der Handwerksbursch zu ihm. Der thut's auch. Zuletzt begegnet ihm einer, der nur ein Auge hat, mit dem andern ist er blind. Der Handwerksbursch frägt, ob er nicht gut sehen könne. Der aber antwortet, mit seinem einen Auge könne er meilenweit alles aufs Genaueste sehen. Das wäre gut, er solle mitgehen. Der thut's auch.

Als die sechs mit einander fortgehen, kommen sie in eine Stadt, da steht an allen Ecken angeschlagen, wer schneller laufen könnte, als die Königstochter, der solle sie zur Frau haben. Da bekommt denn der Schneider auch ein bischen Lust königlicher Schwiegersohn zu werden. Er fragt deshalb den Handwerksbursch, was er dazu sage, daß er einmal einen Wettlauf mit der Prinzessin machte. Der Handwerksbursch sagt, sie hätten ja den mit dem hölzernen Beine, der würde sie schon fertig machen. Gesagt, gethan. Der Schneider geht hin nach dem Schlosse, läßt sich melden und sagt, was er will. Da läßt ihn der König aber in einen Garten führen und ihm eine Menge Gerippe zeigen, die alle an den Bäumen hängen und Prinzen gewesen sind, die mit der Prinzessin nicht fort gekonnt haben und deshalb aufgehängt sind. Der Schneider läßt sich aber davon nicht abschrecken und sagt: er käme besser fort, als die, die da aufgehängt wären und auch wie die Prinzessin. Wann es vor sich gehen solle? Der folgende Tag wird zum Wettlauf bestimmt.

Am andern Morgen geht der Schneider wieder hin, nimmt aber seine Gesellschaft, die anderen, mit. Die Prinzessin kommt recht leichtfüßig herunter vom Schloß und hat zwei Krüge in der Hand. Einen giebt sie dem Schneider und sagt: dort, zwei Stunden von da, wäre ein Brunnen, daraus müßten sie die Krüge füllen und dem König bringen. Der Schneider spricht: es wäre gut; sie solle nur losgehen. Da läuft denn das Mädchen fort; so schnell, wie ein Vogel fliegt. Der mit dem hölzernen Beine nimmt aber den Krug und in ein paar Sprüngen ist er bei dem Brunnen und legt sich hin, um ein bischen zu ruhen und schläft ein. Das sieht der mit dem einen Auge und sagt's dem Schneider; denn die Königstochter ist schon bald zurück, sie sehen sie immer näher kommen. Da muß der Starke einen Stein nehmen, hinwerfen und den Lahmen an das hölzerne Bein treffen, daß er aufwacht und schneller wiederkommt, als die Prinzessin. Der Lahme springt auf, schöpft den Krug voll Wasser und ist im Nu, also früher da, als die Königstochter. Giebt dann dem Schneider den Krug mit Wasser. Als die Prinzessin ankommt, steht der Kleidermacher da und hält ihr den gefüllten Krug entgegen.

Das will sie und der König nicht gelten lassen, und sie wollen sehen, wie sie den Schneider mit seiner Sippschaft auf gute Manier los werden. Der König hat für den Fall, daß er seine Tochter einmal verliert, denn sie hat nie heirathen wollen, das hat aber keiner wissen sollen, ein großes eisernes Zimmer machen lassen, das hat rings mit Feuer umlegt werden können. In dies Zimmer wird der Schneider mit seiner Gesellschaft hineingeführt. Unser zweiter Handwerksbursch hat aber einen Weg auszugehen gehabt. Eine lange Tafel mit den schönsten Speisen steht da; die Gesellschaft wird von der Dienerschaft gebeten, recht fleißig zuzuholen; das thun sie auch. Wein und Braten und allerlei Raritäten schmecken ganz herzlich und sie thun sich alle bene. Da wird es aber nach und nach so warm in dem Zimmer die Diener haben nämlich Feuer darum herlegen müssen, damit die Gäste verbrennen sollen da sagt der Schneider zu dem mit dem schiefen Hute: er möge doch einmal seinen Hut etwas gerade sehen, es würde ja eine heillose Gluth hier. Der thut's und da wird es so kalt, troß des unbändigen Einheizens, daß sie alle da sitzen und anfangen zu frieren und zu zittern, daß die Zähne klappern.

Der König kommt dazu, meint, sie sind verbrannt und sieht nun, wie sie alle stocksteif da sitzen und frieren. Voll Wuth läßt er die Bedienten, die da haben heizen sollen, hineinwerfen und den Schneider mit seinen Gesellen herauskommen. Da verbrennen die Diener; der Schneider aber wird der Schwiegersohn des Königs; denn dieser sieht doch ein, daß er gegen diese Sippschaft nichts ausrichten kann. Die Tochter hat sich also auch bequemen müssen und auf der Hochzeit ist der Handwerksbursch auch und spricht: Sich, jezt bin ich wieder da und will dir nur sagen, daß ich dich glücklich gemacht habe, dafür, daß du meine Schuld von achtunddreißig Thalern damals bezahlt hast. Ich bin des Todten Geist. Sei glücklich. Da ist er verschwunden und damit ist das Mährchen aus.

Quelle: Sagen und Märchen aus dem Oberharz, gesammelt und herausgegeben von August Ey im Jahre 1862