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Der Geprügelte trägt den Ungeprügelten

  Branitz

Der Fuchs und der Wolf waren bei einem Bauer, welcher Kindtaufe feierte, in die Speisekammer gedrungen und hatten sich dort gütlich gethan. Als sie genug gegessen hatten, sagte der Fuchs zum Wolf: „Nun wollen wir uns eins singen.“ Das geschah. Da kamen die Leute herbei: der Fuchs, welcher nicht viel gegessen hatte, entwischte durch das Loch, durch welches er und der Wolf in die Speisekammer gekommen waren, der Wolf aber wurde jämmerlich zerschlagen und dann vom Gehöfte getrieben.

Der Fuchs hatte die Zeit, in welcher Alles auf den Wolf losschlug, wahrgenommen und einem Hahn, welcher ihm in den Weg gekommen war, den Garaus gemacht. Dabei hatte er sich ganz mit Blut besudelt. Als er darauf den Wolf wieder traf, welcher sich in der Erinnerung an die erlittenen Schläge krümmte und wand, klagte er diesem, dass es ihm so schrecklich ergangen sei: er sei ganz blutig geschlagen und könne kein Glied mehr rühren. Da erfasste den Wolf Mitleid mit dem Fuchs, er lud ihn auf und trug ihn davon. Der Fuchs aber konnte sich nicht enthalten zu rufen: „Der Geprügelte trägt den Ungeprügelten.“ Der Wolf verstand das nicht. Er wurde ärgerlich und gebot ihm, er solle den Mund halten, sonst werde er ihn abwerfen. Da schwieg der Fuchs und der Wolf trug ihn weiter.

Quelle: Edmund Veckenstedt: Wendische Sagen, Märchen und abergläubische Gebräuche. Leuschner & Lubensky, Graz 1880