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Hund und Katz

  Branitz

Der Hund hatte in früheren Zeiten große Rechte. In einem Aktenstück war ihm schriftlich zugesichert worden, er solle täglich von den Leuten, bei denen er sich aufhielt, ein Pfund Fleisch erhalten. So oft nun die Leute den Versuch machten; ihm von seinem Pfunde etwas abzuziehen, zeigte er sein Aktenstück vor. Dann waren die Leute gezwungen, ihm das Fehlende nachzuliefern. Von dem vielen Anfassen aber war das Aktenstück ganz fettig geworden. Der Hund fürchtete, es werde zuletzt unleserlich werden und gab dasselbe deshalb der Katze zum Aufheben. Diese trug es auf den Boden und versteckte es hinter die Dachsparren. Da das Aktenstück sehr fettig war, so rochen es die Mäuse, machten sich darüber her und zerknabberten es gänzlich.

Da geschah es wiederum einmal, dass der Hund sein Pfund Fleisch nicht vollständig erhielt. Er beklagte sich darüber und forderte sein Recht. Die Leute sagten ihm, wenn er ein Recht auf täglich ein Pfund Fleisch habe, so möge er das schriftlich zeigen. Der Hund ging zur Katze und forderte von dieser sein Aktenstück. Die Katze eilte sofort auf den Boden, aber als sie das Papier nehmen wollte, sah sie, welchen Schaden die Mäuse angerichtet hatten. Es blieb ihr nichts weiter übrig, als dem Hunde zu sagen, was geschehen sei. Der Hund konnte nun seine Rechte nicht mehr beweisen. Darauf sagten ihm die Leute, er werde fortan gar kein Fleisch mehr erhalten. Darüber wurde der Hund wüthend und fuhr in lichtem Zorne auf die Katze los. Die Katze musste flüchten, liess aber fortan ihre Rache an den Mäusen aus. So ist es gekommen, dass der Hund die Katze hasst, die Katze aber mit den Mäusen in Feindschaft lebt.

Quelle: Edmund Veckenstedt: Wendische Sagen, Märchen und abergläubische Gebräuche. Leuschner & Lubensky, Graz 1880