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Von den Wanderern und der Krone des Schlangenkönigs

  Branitz

Zwei Männer waren einst in den Wald gegangen. Sie waren von ihrer Wanderung müde, deshalb setzten sie sich auf einen grossen Baumstamm, um auszuruhen. Zu ihrem Schrecken aber bekam der Baumstamm Leben, denn sie hatten sich auf eine grosse Schlange gesetzt, welche anfing sich zu bewegen. Schnell sprangen sie auf und liefen eine Strecke weit. Sie ahnten aber, dass es der Schlangenkönig selbst sei, auf den sie sich gesetzt hatten, denn eine gewöhnliche Schlange hätte nicht so gross sein können.

Die Männer hatten gehört, dass der Schlangenkönig eine kostbare Krone besitze. Sie beschlossen zu versuchen, ob sie sich derselben bemächtigen könnten. Deshalb breiteten sie in einiger Entfernung ein weißes Tuch aus, dann kletterten sie auf eine grosse Eiche, um der Dinge zu warten, die da kommen würden.

Es währte nicht lange, so kroch der Schlangenkönig zu dem Tuche und legte seine Krone darauf ab. Dann liess er einen hellen Pfiff hören. Alsobald kamen zwölf grosse Schlangen herbei. Die Schlangen stürmten alle auf den Baum los, auf welchem die beiden Männer sassen und bissen in den Stamm, dass die Rinde herumsplitterte, allein sie vermochten nicht, den Baum zum Wanken zu bringen. Darauf begannen die Schlangen sich unter einander zu bekämpfen. Das währte fünf Tage hindurch. Die Männer verbrachten die ganze Zeit in grosser Angst auf ihrem Baum. Endlich, am sechsten Tage, waren die Schlangen mitsammt dem Könige todt. Dieser hatte dadurch, dass er seine Krone abgelegt hatte, sich seiner Macht begeben.

Als die Schlangen todt waren, stiegen die Männer von der Eiche herunter, nahmen die Krone des SchlangenKönigs und verkauften dieselbe in der Stadt. Das Geld theilten sie unter einander. Fortan lebten sie als reiche Leute bis an ihr Ende.

Quelle: Edmund Veckenstedt: Wendische Sagen, Märchen und abergläubische Gebräuche. Leuschner & Lubensky, Graz 1880