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Wie Graf Ludwig von der Veste Giebichenstein entspringt

Trotz aller Vorsicht des Thüringischen Grafen geschah es doch, daß er unversehens in die Gewalt der kaiserlichen Dienstmannen kam, die aller Orten heimlich auf ihn lauerten. Da wurde er nach dem Bergschloß Giebichenstein bei Halle geführt und dort in enge und lange Haft gelegt, denn der Kaiser war außer Landes gezogen und der Gefangene sollte sein Urtheil bis zu dessen Rückkehr erwarten und durfte sich auch zu dem Richterspruch des Kaisers nichts Guten getrösten. Zwei Jahre und acht Monate saß er gefesselt in dem Kerkergemach und hatte Zeit genug, seine Sünden zu bereuen. Traurig sah er hinab auf die Saale, die damals näher wie jetzt an dem Burgberg vorbeifloß und hinüber in die grüne freundliche Aue. Entkommen schien unmöglich, denn nächstdem, daß er an einen Stock gefesselt war, wurde er auch noch täglich von sechs Rittern bewacht und dennoch sann er Tag und Nacht auf Flucht, zumal die Kunde von des Kaisers naher Rückkehr zu ihm gelangte, und es hatte allen Anschein, daß des Kaisers Gericht ihm das Leben absprechen würde. Da forderte der Gefangene, daß man seinen Schreiber zu ihm lasse, damit er sein Zeitliches ordne, sein Haus bestelle, und seiner Diener einen, den er mit Botschaft an Frau Adelheid senden wolle. Als dieses ihm verstattet worden war, gebot er dem Diener heimlich, seinen weißen Hengst, den er nur den Schwan nannte, herbei zu bringen, an einem Tag, den er ihm bestimmte und zu einer besondern Stunde am Ufer der Saale zu halten, auch das Roß in den Fluß wie zur Schwemme zu reiten.

Hierauf ließ Graf Ludwig sich äußerst betrübt schauen über sein nahe gefürchtetes Ende, er aß nicht und trank nicht, der Schlaf floh ihn auch, und er klagte nun denen, die ihn bewachten, seine ernstliche Krankheit. Dadurch erlangte er, daß sie ihn der Fesseln erledigten; er aber verhielt sich ganz wie ein Sterbender, ordnete sein Seelgeräthe und ließ sich ein Sterbehemde bereiten. Auch klagte er über Frost, ließ sich noch einige Mäntel bringen, um sich damit zuzudecken, und erwartete so, auf dem Lager liegend, seine Zeit und Stunde. Dabei gelobte er im heimlichen Gebet seinem Schutzpatron St. Ulrich eine neue Kirche, wenn er ihm aus der Haft hülfe. Unterdeß richteten seine Diener alles getreulich aus, wie er ihnen befohlen; am bestimmten Tag hielt der Knecht mit dem Schwan der Burg gegenüber, einige Fischer fuhren mit zwei Kähnen den Saalstrom auf und ab, und hatten fleißig Acht, ob sich oben im Mußhaus das große Fenster, das gerade herab auf die Saale sah, nicht öffnen werde. Die sechs Hüter des Grafen hatten wie immer das Haus gut und fest verschlossen, sie saßen bei einander und spielten im Bret; der Kranke fühlte einige Besserung und wollte probieren, ob er wieder ein wenig gehen könnte, ließ sich deshalb einen Stab reichen und versuchte einige Gänge im Zimmer gemächlich auf und ab, doch war er noch gar schwach und fror, weshalb er auch seine Mäntel umbehielt. In dem steinernen Zimmer war es noch kühl, draußen aber schien die Sommersonne (es war im Monat August) warm und freundlich, daher öffnete der frierende Mann das große Fenster, um sich von ihren Strahlen erwärmen zu lassen. Ein Zeichen – ein Ruf: Hilf deinem Knecht, Jungfrau Maria! und ein Mantel sank, der Stab rollte in das Gemach, die eifrigen Bretspieler fuhren auf, wo war der Gefangene? – Thurmhoch herab trugen die von den Lüften geschwellten Mäntel den kühnen Springer, rasch waren die Ruderer unten zur Hand, der Schwan schwamm in der Fluth; der Gefangene war frei, die Wächter oben hatten das Nachsehen wie er die nassen Mäntel abwarf, sich auf sein gutes Roß schwang und in der Richtung nach seiner Stadt Sangerhausen hin verschwand. Dort erfüllte er sein Gelübde, baute St. Ulrich eine stattliche Kirche und erhielt von dieser Zeit an den Zunamen: Der Springer.

Quellen: