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Der Meister Klinsor weissagt aus den Sternen und versöhnt die Sänger

Wenige Tage nach seiner Ankunft zu Eisenach, und ehe der erneuerte und entscheidende Liederkampf begonnen wurde, saß eines Abends Meister Klinsor im Garten seines Wirthes, um ihn waren viele ehrbare Leute von des Fürsten Hofe, auch viele Bürger aus der Stadt, und sie tranken ihren Abendtrunk, und baten ihn, er möge ihnen etwas Neues sagen, wie er bisher immer gethan, daher sie auch so gern um ihn waren. Da stand er auf, ging eine kleine Strecke von ihnen, und sah mit großem Fleiß eine lange Weile die Gestirne an, dann sprach er: „Ich will euch neue und fröhliche Mähr sagen. Heute in dieser Nacht wird meinem Herrn, dem König von Ungarn, eine Tochter geboren, die soll heilig werden, und dem Sohn des Thüringerfürsten zur Ehe vertraut, und sie wird durch ihre Heiligkeit die Freude und der Trost der ganzen Christenheit sein.

Dasselbe verkündigte er am andern Tage mit großer Freude auf der Wartburg auch dem Landgrafen Herrmann und der Landgräfin, da ward unter dem Hofgesinde starker Zusammenlauf und viel Gesprächs über diese fröhliche neue Mähr, auch wurde ein schönes Gastmahl dem Meister Klinsor zu Ehren gehalten, und die Kunde von seiner Weissagung ging durch das ganze Thüringerland.

Darnach begehrte Landgraf Herrmann von dem Meister Klinsor, daß er den Krieg, um deßwillen er hergekommen war, mit den Sängern richten wolle. Das geschah zu Wartburg auf dem Ritterhaus, und der Meister sprach es aus in Gegenwart des genannten Fürsten und seiner Grafen und Herren, deren viele zu dieser Zeit zu Hofe gekommen waren, daß der Tag von der Sonne komme, und wenn die Sonne die Erde nicht beleuchte, so wäre kein Tag, und legte mit vielen schönen Reden den Sän-gerkieg also bei, daß Herr Heinrich von Ofterdingen Recht behielt, und sühnete gütlich ihren Streit.

Nur Wolfram von Eschenbach war zumeist noch wider ihn, da er am meisten gegen Ofterdingen gesungen, und da Klinsor diesen mit seinen Reden nicht überwinden konnte, trat er aus dem Ritterhause und rief einen Geist. Dieser kam alsbald in Gestalt eines Jünglings, und Klinsor brachte ihn zu Wolfram in Gegenwart des Fürsten und seiner Mannen und sprach: Wolfram, ich bin etwas müde geworden, dieser mein Knecht soll für mich eine Weile mit Dir reden. Da hoben sie an, schön und herrlich gegeneinander zu sprechen vom Anbeginn der Welt, bis auf die Zeit der Gnaden, da Christus geboren ward. Nun begann Wolfram zu reden von dem ewigen Wort, wie das aus dem Vaterherzen Gottes geflossen wäre, und zu Fleisch worden, wie sich das gebe in dem Sacrament des Abendmahls. Und wie er dahin kam zu sprechen von der heiligen Wandlung des Brodes in den Leib Christi, vermochte der Geist nicht mehr zu antworten.

Klinsor verwunderte sich über des Sängers hohe Reden, und glaubte, dieser sei sehr gelehrt, strebe aber das vor ihm zu verbergen, und gebot seinem Geist, er möge erproben, ob Wolfram ein Gelehrter sei, oder ein Laie. Nun wohnte Wolfram bei einem Bürger zu Eisenach, der hieß Titzel Gottschalk, auf dem Brodmarkt nah dem Sulzenborn, und schlief sammt seinem Knecht in einer steinernen Kammer mitten im Haus, die keine Fenster hatte; dahinein kam Nachts der Geist, dessen Angesicht also feurig und grausig war, daß der Knecht vor Aengsten fast verging, und legte Wolfram Fragen vor von der Natur des Himmels, vom Lauf der Sterne, von der Bewegung der sieben Planeten durch die Räume des Himmels, von ihrer Kraft und Wirkung, und warum sie bisweilen einander nahe, bisweilen fern ständen? Auf alles dieses vermochte der fromme Sänger keine Antwort zu geben, drauf der Geist unter großem Lachen mit seinem Finger in einen Stein der Mauerwand schrieb: Du bist ein Laie Snippin Snap! und von dannen fuhr. Die Schrift aber blieb feurig in der Wand stehen, und war, als sei sie in den Stein wie in einen weichen Teig gedrückt. Alles lief hinzu, sie zu sehen, darüber viel Licht verbrannt wurde, und der Wirth sich erzürnte, und ließ den Stein ausbrechen und in die Hörsel werfen, daß niemand ihn berühre. Als das Alles nun vom Meister Klinsor ausgerichtet war, nahm er Urlaub von dem Grafen Herrmann und den andern Herren, und ward begabt mit köstlichen Kleinoden, schied ab mit großem Danke. Er kam hinweg, niemand wußte, wie.

Quellen: