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Der Sängerkrieg auf Wartburg

Am Hofe des Landgrafen Herrmann von Thüringen fanden sich sechs edle und tugendsame Männer zusammen, die konnten hübsche Lieder dichten. Sie erfanden neue Gesänge, mit denen sie gegeneinander sangen und kriegten, welche Lieder daher noch den Namen haben: Der Krieg zu Wartburg, weil es auf der Wartburg über Eisenach geschah. Der erste Sänger hieß Heinrich Schreiber, war ein guter Ritter; der zweite Walther von der Vogelweide; der dritte Reinhart von Zwetzen, auch Reimar Zweter genannt; der vierte Wolfram von Eschenbach, diese waren alle rittermäßige Mannen und gute Wappner; Bitterolf, der fünfte, gehörte zur Dienerschaft der Landgräfin, und der sechste, Heinrich von Afterdingen oder Ofterdingen war ein Bürger der Stadt Eisenach, von einem frommen Geschlechte. Von diesen sechs Dichtern sagt und singt ein altes Gedicht:

Die Sechse waren Meister, zu dichten,
Manch Liedlein sie ausrichten,
Mit gar vernünftigen Sinnen
Konnten sie dar beginnen,
Geistlich und auch weltlich,
Behendiglich und auch zärtlich.

In ihrem Wettkampfe priesen sie laut das Lob guter Fürsten und vornehmlich das des gastlichen und kunstsinnigen Landgrafen Herrmann, nur der einzige Ofterdingen stritt gegen sie alle, und pries in seinem Gesange den Herzog von Oestreich, hob ihn hoch über alle Fürsten, und zuletzt wurden die Dichter so eifrig und der Liederkampf so ernst, daß beschlossen wurde, es solle der Unterliegende auf der Stelle sich durch den Scharfrichter, Meister Stempfel, das Haupt abschlagen lassen, oder an einen Baum aufgehenkt werden, wozu auch der Landgraf, der dieß an seinem Hofe sonst nicht gestattet hätte, um ihres kunstreichen Gesanges willen, seine Bewilligung gab. Nun sangen alle in künstlichen Weisen gegen Ofterdingen, denn sie haßten ihn, und waren neidisch auf seine Kunst, hätten ihn gern fort gehabt vom Hofe. Ofterdingen verglich seinen Helden mit der Sonne, und gestand allen andern Fürsten nur Sternenglanz zu; während die übrigen den Thüringer Herrn über Alles erhoben, und ihn den Tag nannten, dem die Sonne erst nachfolge. Die Worte und Bilder, deren sich die Sänger bedienten, waren nicht abgewogen und nicht schonend, vielmehr derb und verletzend und leidenschaftlich; endlich schien die Mehrzahl zu siegen, fünf gegen einen, und Ofterdingen mußte klagen, daß man ihm in Thüringen falsche Würfel vorlege, und er rief sehnsuchtsvoll aus: O, Dich entbiet ich her, Klinsor von Ungarland! Und wärst Du über See! Auf Dich beruf ich mich, Dich darf ich auserwählen, Deine Meisterschaft ist auserkoren vor allen Sängern, und solltest Du den Gries des Meeres zählen, und alle Sterne einzeln nennen, hilfst Du, so bin ich unverloren! Klinsor muß her, ihm ist des Oesterreichers Tugend wohl bekannt. Vier von den Meistern wollten seinen Tod; oft ward Stempfel aufgerufen, sich bereit zu halten, und schon wollten sie ihn ergreifen, aber er entfloh zu den Füßen der Landgräfin Sophia, die mit ihren Frauen dem Wettkampf beiwohnte, und er barg sich in ihrem Faltenmantel. Die Landgräfin erhob sich, hielt schirmend ihre Rechte über den Sänger und sprach zu seinen Verfolgern: Bin ich jemals einem unter Euch Abwehr seines Kummers und Zuflucht gewesen, so laßt mir Euern Zorn! Wem von Euch ich je die Hand bot, der läßt diesen wohl genesen. Darauf sprachen gleich die Kampfrichter: Euer Wille geschehe, Euch gehorchen wir gern, mag er den Klinsor bringen, es wird wohl lange dauern, ehe der kommt. Nun wurde die Frist eines Jahres festgesetzt, in dieser Zeit sollte Ofterdingen den Klinsor rufen, und dessen Urtheilsspruch wolle man sich fügen, da er in allen Landen großen Ruhm habe. Und Ofterdingen beurlaubte sich von dem landgräflichen Hofe und fuhr gen Oesterreich zum Herzog Leopold, der ihm vordem wohl viel Gutes erzeigt haben mochte, daß Heinrich ihn also hoch prieß; er ward auch wieder gütig aufgenommen, und empfing Briefe und reichliche Zehrung, damit er nun weiter gen Ungarn zog, wo der große Meister Klinsor weilte.

Quellen: