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Von goldenen Schlüssel zu Missen

  Missen

In Missen diente eine fromme Magd bei einem Bauer. Eines Nachts kam ein Männchen zu ihr und rief sie drei Mal. Die Magd fragte: „Was willst Du von mir?“ Das Männchen aber gab keine Antwort, sondern winkte ihr, sie solle ihm folgen. Die Magd ging nicht mit, denn sie fürchtete sich.

In der nächsten Nacht kam das Mannchen wieder und winkte, aber die Magd ging wiederum nicht mit.

In der dritten Nacht kam das Männchen wieder, aber es stand vor der Magd mit einem traurigen Gesicht. Es winkte wieder. Da ging endlich die Magd mit. Sie kamen an die Kirche, die Thür war offen; darauf gingen beide hinein. Vor dem Altar stand ein Sarg, der war mit einem goldenen Schlosse verschlossen. Da gab das Männchen der Magd einen goldenen Schlüssel und deutete ihr an, sie solle das Schloss damit öffnen. Die Magd drehte den Schlüssel im Schlosse um. Sogleich sprang der Sargdeckel in die Hohe. Im Sarge lag Jemand. Während die Magd noch das Schloss mit dem Schlüssel in ihrer Hand hielt, waren auf einmal Sarg und Männchen verschwunden.

Die Magd ging eilig mit dem Schlosse zur Kirche hinaus. Sie hat später Vielen im Dorfe das goldene Schloss mit dem Schlüssel gezeigt und dann erzählt, wie sie dazu gekommen ist.

Quelle: Edmund Veckenstedt: Wendische Sagen, Märchen und abergläubische Gebräuche. Leuschner & Lubensky, Graz 1880