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Der Todten Christmahl

  bei Lübbenau

In einem Dörfchen bei Lübbenau war einer Frau, und zwar in der Nacht vor dem ersten Weihnachtstag, als höre sie Glockengeläute. Sie stand aus ihrem Bette auf und kleidete sich an, um in die Christnacht zu gehen. Als sie auf die Strasse kam, fiel der Frau auf, dass sich noch Niemand im Dorfe regte. Sie dachte bei sich: „Heute bist Du die Erste.“ Die Frau ging also in die Kirche. In derselben war Alles erleuchtet, aber doch brannte kein Licht. Die Frau sah in den Bänken sehr viele Männer, Frauen und Kinder sitzen, auch ihre kürzlich verstorbene Nachbarin. Als sich die Frau ebenfalls in eine Bank setzen wollte, sagte dieselbe zu ihr: „Was willst Du denn hier? Geh' Deiner Wege, sonst wird es nicht gut: hier halten heute die Todten Christmahl.“ Da ging die Frau aus der Kirche. Vom Thurme schlug es ein Uhr.

Quelle: Edmund Veckenstedt: Wendische Sagen, Märchen und abergläubische Gebräuche. Leuschner & Lubensky, Graz 1880