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Elsbeth

  UN. B.

Es war am Morgen eines schönen Sommertages im Jahre 1540. In zauberhafter Klarheit wölbte sich der Himmel über ein enges, von mächtigen Bergwänden umschlossenes Thal und senkte sein schönes, reines Blau in die grünen, laubigen Spitzen uralter Wälder, welche jene bedeckten. Eine herrliche Gebirgswelt umgibt das Thal. Berge, aus denen hier und da gewaltige Felsen wie versteinerte Druidengestalten herausstarren, von riesenhafter Höhe, wie sie das Auge voll Seligkeit zu erklimmen und von wo herabzuschauen in das kühle, träumerische Thalgewinde man keine Mühe zu sparen pflegt; Thäler voll Poesie, voll Sehnsucht und Liebe, durchrauscht von einem einsam murmelnden Bächlein, das schäumend seine kleinen Wellen an dem bemoosten Felsgesteine bricht. Und über all' diesen Gebirgsherrlichkeiten strahlte an jenem Tage der wolkenloseste Himmel, Ströme von Licht und Wärme über die Höhen, in die Thäler und Waldeslücken gießend. Auf einem Vorsprunge der einen Bergkette stand damals ein schönes Schloß, dessen Zinnen, von einem blaulichen Schimmer umwogt, hoch in die Lüfte ragten. An der einen Schloßseite fiel eine senkrechte Bergwand in eine Schlucht, aus der das Rauschen einer Quelle hervordrang.

Hinter dem Schlosse erhoben sich wieder dunkle Berge, deren Häupter sich in hohe Wälder bargen. Am Fuße des Schloßberges lag ein Städtchen mit kleinen, strohbedeckten Häusern, wohlverwahrt gegen feindliche Angriffe, durch mächtige, mit drohenden Thürmen versehene Mauern. Die Thore, aus gewaltigem, mit Eisen beschlagenem Gebälk und mit der wappenverzierten Wölbung aber waren weit geöffnet und durch sie strömte aus und ein allerlei Stadt und Landvolk. Ihr freundlicher Aufputz wie ihre muntern Mienen verriethen irgend eine festliche Begehung. An dem heutigen Tage nämlich pflegten alle zur Herrschaft des Schlosses Gehörenden, aber außerhalb der Mauer des Städtleins Wohnenden, mit allerlei Gaben bepackt in die Stadt zu wallfahrten, um den Bürgern für den Schutz zu danken, den sie ihnen hatten angedeihen lassen. Jene Zeit war voll von Nöthen und Bedrängnissen und wer seinen Herd nicht hinter mächtigen Mauern zu bauen wußte, der war nimmer seines Lebens froh und nimmer ungefährdet Herr seines Eigenthums.

Mordbrennerische Banden durchzogen überall das Land, verwüsteten die unbeschützten Ortschaften und mordeten ihre Bewohner. Zwar hatten die edelsten Dinasten der Eifel einen Bund zur Unterdrückung dieser räuberischen Horden und zur Aufrechthaltung der öffentlichen Sicherheit gestiftet; doch erfolglos blieben größtentheils ihre Bemühungen; denn beschützt oft von mächtigen, feindlichen Parteien, mit großer Schnelligkeit bei Annäherung kräftigerer Gegner fliehend, mit umso blutigerer Grausamkeit aber die Schwächern plündernd und mordend, entgingen sie immer dem strafenden Arme der Vergeltung. Naheten nun die Banden festen Orten, so flüchteten die Umwohner mit aller tragbaren Habe in diese, bis das Unwetter wieder vorübergezogen war. Alljährlich sammelten sich die auf diese Art ewig Bedrohten unter den Mauern des sie schützenden Ortes und brachten saftige Schinken, Körbe voll Eier und Butter mit, um an diesem Tage, aller Leiden und Gefahren vergessend, mit den Bürgern tüchtig zu schmausen und zu trinken.

Ein festliches Hochamt eröffnete den Feiertag. Die Kirche war prächtig mit den Fahnen aller Innungen und mit Blumen geschmückt und kräftige Gesänge durchwogten ihre Hallen und Bittgebete stiegen auf zum Herrn, um Abwendung jeglichen Gefährnisses. Gar freundlich hatten sich die Dirnen herausgeputzt und sie glänzten in ihrem schönsten Sonntagsstaate; nicht minder die jungen Bursche; denn heute gab es zu tanzen und zu jubeln, wie es das junge Volk zu lieben pflegt. Auch blühte manch' rosiges Gesichtchen unter der ehrsamen Haube hervor und manch' schmuckes Dirnlein stand da. Alle überstrahlend aber war die schöne Elsbeth, des Bürgermeisters Töchterlein. Sie war wie ein Engel anzuschauen, so fromm und sanft, und so mild wie ein frischer, duftiger Maienmorgen. Ihre Augen waren wohl noch viel dunkler als die schwärzeste Mitternacht und doch noch heller, als die Sternlein, in klarer Wintersnacht.

Ihre Wangen blühten wie ein Rosenbeet im Glanz der Morgensonne, um ihre Lippen spielte ein schuldloses Engelslächeln, und um das holdselige Antlitz wallte und wogte wie ein dunkler Flor eine reiche seidene Fülle von Lockenhaar. Wer Elsbeth ansah, der fühlte sich unendlich beseligt; man nannte sie auch nur den Stern der Eifel, die Rose des Thales. Manch edler Rittersmann freite daher um ihre Hand und bot Schloß und Gut ihr an. Da wurden keine Stammbäume, da wurde nicht nach Ritterehre gefragt, und wäre Elsbeth die niedrigste Magd, das ärmste Aschenbrödel gewesen, so hätte sie dennoch immer einen glänzenden Hof von edlen Herren um sich gehabt.

Sie aber hatte ihr Herz schon an den Junker Eitelheinrich verschenkt und war ihm holdselig, gut und treu. Eitelheinrich aber war wie ein junger Eichenstamm im Walde, so hoch, so kräftig und so schlank; sein Auge flammte unter den dunkeln, schattigen Braunen hervor und sein Antlitz war voll edlen Trotzes und Adel. Seine Seele war sanft und keusch, wie frisch gefallener Schnee auf den Bergen. Keiner verstand wie er sich auf dem wildesten Rosse zu tummeln, keiner wie er des Schwertes mächtige Wucht zu handhaben.

Aber nicht in der tollen Fehdelust jener Zeit erprobte und übte er seine männliche Kraft; seine Faust war nur dem Rechte des Unterdrückten und dem Schutze des viel geplagten Bürgers geweiht. Auch war er Meister in allerhand edlen Künsten; er wußte alle Sagen aus der Umgegend; da war kein Felsgetrümmer, da war kein Kapellchen im einsamen Walddunkel, von dem er nicht etwas Schönes zu erzählen wußte. An dem heutigen Tage war Eitelheinrich von Kopf bis zu Füßen ganz Rittersmann.

Sein edles Lockenhaupt deckte eine schimmernde Stahlhaube; sein schlanker Leib war umgeben von einem gewaltigen Harnisch und an seiner Linken funkelte ein gutes Schwert, das theuere Erbe seines geliebten Vaters. Als endlich der Priester seinen letzten Segen ausgespendet hatte über die andächtige Schaar und Alle hocherbaut die Kirche verließen, da nahte Eitelheinrich ganz schüchtern dem Bürgermeister, an dessen Seite fein und sittsam Elsbeth einherschritt. Wohl kannte der Bürgermeister schon den Zweck der Ansprache des Junkers, denn er war wohlbewandert in Menschen- und Seelenkunde und wußte auch um des Ritters treusinnige Zuneigung zu seinem schönen Töchterlein.

Als nun der Junker bat, Elsbeth auf den Nachmittag zum Tanze führen zu dürfen, da lächelte der gute Greis und von seiner Lippe floß bereitwillig das Zugeständniß, und der Junker verabschiedete sich. Der sehnlichst erwartete Nachmittag erschien endlich. Unfern des Städtchens, in einem freundlichen waldumwachsenen Wiesenthale, waren Zelte erbaut worden; innen standen Tische schwer mit Wein - und süßem Meth bedeckt; auch war nicht minder frisches, duftiges Gebäck in Hülle und Fülle da. Schon tummelte sich eine rege Volksmenge in dem freundlichen Thale umher; hier sah man muntere Bauernbursche mit rothbäckigen Dirnen, dort die bewaffnete Mannschaft, die als Besatzung in dem Städtlein lag, mit ihren gewaltigen Degen und eisernen Hauben, hier einen Kreis froher Bürgersleute, dort eine springende und singende Schaar von Kindern.

In den lauten Jubel tönten die Instrumente einiger Fiedler und flink wirbelten lustige Tänzerreihen auf der grünen Wiesenmatte umher. Hoch aus Allen aber ragte Eitelheinrich hervor, an seinem Arm wandelte Elsbeth. Da war wohl manche Dirne, die mit gar neidischen Blicken die schöne Bürgermeisters-Tochter verfolgte und mancher stattlicher Bursche wünschte den Ritter auf sein stilles Schloß oder in eine gefahrvolle Fehde, fern von der bewunderten Zierde des Städtchens. Doch wie sie zusammengingen Hand in Hand, wie sie Jeden gar freundlich grüßten, wie Eitelheinrich mit Jedem trank, der ihm den schäumenden Becher bot, wie sie sich mischten in die Reihen der Tänzer, da verschwand vor solcher Güte und Leutseligkeit aller Neid und ein Jeder wünschte dem schönen Paare Glück und stetes Wohlergehen.

Eitelheinrich und Elsbeth sprachen gar viel von Leid und Weh und doch däuchte es ihnen, noch nie so selig gewesen zu sein als heute; sie ließen die Blicke schweifen in die Zukunft wie in ein Eden; sie blickten sich so fromm und innig in die Augen, als ob sie ihre Seelen versenken wollten in die feurig strahlenden Sternenkreise. So verschwand unter Getändel Stunde auf Stunde; schon sank die Sonne hernieder und ruhte, von einem leuchtenden Purpurmantel umhüllt, auf der hohen Eichenwaldung.

Horch, da dröhnte ein schwerer, langer Glockenruf durch das Thal; das klang wie Gewimmer von Sterbenden, wie drängender Hilfschrei in argen Nöthen. Die Becher sanken von den Lippen der Trinker, die Fiedler ließen erstarrt vor Entsetzen den Bogen ruhen auf den alten Instrumenten und die Tänzer standen still, wie von einem Zauberstab berührt.

Das war keine Feuersbrunst: denn der Himmel ruhte klar auf den Bergen; da mußte ein fürchterliches Unheil geschehen sein. Nach und nach ermuthigten sich die vor Kurzem noch so Muntern wieder; die Weiber bekreuzten sich und sprachen ein Vaterunser. Die bewaffneten Männer aber, an ihrer Spitze Eitelheinrich, schwangen sich auf ihre Rosse und sprengten hinauf zu dem Städtlein. Hier drängte sich eine irre Masse nach den Thoren; Weiber mit ihren Säuglingen an der Brust, das Theuerste ihrer ganzen Habe, liefen hilfeschreiend umher, während einzelne Männer, mit schlechten Waffen und Heugabeln versehen, einer Gegend der Stadt zueilten, von wo ein klirrendes Getümmel von Waffen und die dröhnenden Hufe von Pferden erschollen.

Dorthin eilten die Reiter. Eine Schaar der gefürchtetsten Räuber, die Böcke genannt, war, die Abwesenheit der bewaffneten Mannschaft benutzend, hereingedrungen in die Stadt und richtete raubend und mordend ihre gewöhnlichen Verwüstungen an. Mit donnerndem Schlachtrufe stürzte sich Eitelheinrich in den sich drängenden Menschenknäuel; sein Schwert funkelte hoch; dann sank es vernichtend nieder; er sprengte mitten hinein in den Haufen, daß viele der Räuber ob der Kühnheit des Jünglings die Flucht ergriffen. Da sprengte aus einer Seitengasse eine hohe, mächtige Reitersgestalt heran, sein Helm war umwogt von einem blutrothen Federbusche und sein Antlitz bedeckte ein wilder, mächtiger Bart.

Er holte schon in der Ferne zu einem verderblichen Hiebe aus; doch siehe! da stürzt er kopfüber vom Pferde, daß der schwere Fall weit in das Getümmel dröhnte. Er versuchte sich wieder zu erheben, doch vergebens, und wälzte sich in fürchterlichen Krämpfen auf dem Boden. Der Kampf schwieg; der grauen volle Anblick hielt alle gefesselt und beschäftigt. Der Reiter aber stieß gar fürchterliche und grimmige Flüche aus; sein Antlitz färbte sich bald roth, bald blau; seine Hände rissen wie in Todesangst das Wamms auf; er raffte das Schwert auf und warf es fluchend unter die bange Menschenschaar. Und immer krampfhafter wurden des Reiters Bewegungen; sein Auge unterlief roth mit Blut und seine Lippen bedeckte ein dunkler, dicker Schaum.

Da standen Aller Haare zu Berge; es drängte sich eine fürchterliche Gewißheit ihrem Geiste auf. „Die Pest, die Pest!“ so scholl es von allen Seiten. Unverfolgt flohen die Räuber aus der Stadt; die Kriegsmänner warfen ihre Waffen dahin und hände ringend eilte Alles in die Hütten. Ein lauter Jammer erfüllte die Luft. Bald drang die Schreckenskunde hinab in's Thal, wo die Versammelten bange harrten; da blieben die Becher halb ungeleert stehen, und alle eilten hinauf in ihre Häuser, als ob dort Schutz zu finden wäre gegen den tückischen Dämon. Eitelheinrich nahm die trostlose Elsbeth auf sein Roß und flog hinab in das Städtlein und trug die Bebende in die Arme des bekümmerten Vaters.

Und in derselben Nacht starben wohl noch ein Dutzend Leute an der fürchterlichen Krankheit. Bald standen alle Häuser leer; denn ihre Bewohner hatten sich in die nahen Wälder geflüchtet, Da hielt kein Band gewöhnlicher Verhältnisse die um ihr Leben. Besorgten zurück und die sich auch früher nahe standen, flohen sich jetzt und wer nicht durch Nothdurft gezwungen mit Andern verkehren mußte, der eilte auf die höchsten Felsenspitzen oder in die entferntesten Wälder. In dem Städtlein hausten bald nur noch die Wölfe und wilde Katzen und kein zu einem freundlichen Mahle einladender Rauch stieg aus den Schornsteinen hervor. Die Thore standen weit geöffnet und alles war stille und grabesöde.

Nur Eitelheinrich hauste noch auf seinem Schlößlein und auch der Pfarrer blieb auf Gottes Schutz vertrauend in seinem Häuslein dicht an der Kirche. Morgens stieg er hinauf in den Glockenthurm und läutete die Glocken, daß sie weithin hallten über die Berge und in die Thäler: er schmückte sich mit den Kirchengewanden und las die heilige Messe. Oft sah man auf den Glockenruf auf den nahen Hohen verkümmerte Grabesgestalten nahen, jammernd die Hände ringend und weinend hinabblicken auf die geliebten Hütten.

Wenn denn die Stimme des Priesters das „Sanctus, Sanctus, Sanctus“ sang, dann knieten sie nieder und begruben, zerknirscht wie ob schwerer Sündenschuld die Brust zerschlagend, ihre Stirne in den Boden. Nach Beendigung der Messe warfen sie noch einen Blick hinab in das geliebte heimathliche Thal und eilten dann wieder zurück in die bergende Nacht der Wälder. Unfern des Städtchens da stand in jener Zeit ein mächtiger Eichenbaum, der seine Aeste wie ein Dach weit umherbreitete. In seinem ausgehohlteu Stamme befand sich ein Muttergottesbild. Dorthin hatte sich der Bürgermeister mehr in Sorgen um seines schönen Töchterleins, als um sein eigenes Leben geflüchtet.

Elsbeth knieete gar oft vor dem Bilde der Gnadenmutter und flehte um Hilfe in diesen schweren Nöthen. Da ward es ihr oft, als ob sie hinaufflöge zu den lieben Englein; da ward es so klar und hell in ihrem Geiste, als ob sie sich bade in der reinen Luft jener verklärten Höhen; da hörte sie Sänge beseligter Geister und ihr Herz füllte sich mit Ruhe, mit dem Odem leichterer Gefilde. Eitelheinrich war Elsbeth treu geblieben in alter Liebe. Wenn sich in gottesfürchtigen, edlen Seelen die Flamme der Liebe entzündet, dann leuchtet sie fort und fort durch alle Thränen und Trübsalen des Lebens bis an die dunklen Pforten des Grabes. Der Junker war zwar nicht mehr so lebenslustig wie früher; der Anblick der allgemeinen Noth hatte ihn ernst und gedankenvoll gemacht. Er stand oft stundenlang auf dem Söller seiner Burg und blickte hinab in das Städtchen, das früher immer hallte und schallte vom regen Leben seiner Bewohner, jetzt aber da lag wie ein weites, stilles Grab. Dann ergriffen ihn gar wehmüthige Gedanken und er sehnte sich aus diesem Leben voll Jammer, Elend und Thränen.

Nach solchen schwermüthigen Augenblicken eilte er hinaus in's Freie, um aus dem sternenklaren Auge seiner Elsbeth wieder Trost und Lebensmuth zu trinken. Sie sprach ihm so erhaben, so tröstlich von den Freuden der Zukunft, von jenen himmlischen Gefilden, über die der Herr seinen ganzen Liebesegen ausgeschüttet hat, daß es dem armen Rittersmann wieder leicht und stille um das schwer gedrückte Herz wurde. So verging denn Monat auf Monat; ein Jahr war beinahe verstrichen. Die Pest hatte weit und breit ihr dunkles Banner entfaltet und hauste fürchterlich unter den Menschen.

Es war an einem herrlichen Abend, die Sonne auf einem goldenen Schemel von Wolken ruhend, sandte ihre letzten Strahlen hinab auf die schweigenden Höhen, während am Himmel bereits die bleiche Sichel des Mondes hervorzitterte; da wandelten Elsbeth und Eitelheinrich auf einer Bergeshöhe, von wo eine gar reiche Aussicht in die Ferne sich eröffnete. Tiefe Stille ruhte überall, nur Zweige der Bäume schaukelten sich hin und her.

Elsbeth war so traurig zu Muthe und aus ihren Augen drangen brennende Thränen. „Ach, Ritter, mir ziehen seit einigen Tagen gar trübe Ahnungen durch die Seele. Gestern knieete ich unter der Marieneiche; da versank ich in einen seltsamen Traum. Oben aus den Zweigen lispelte und hauchte es herab, und als ich hinauf blickte, da däuchte es mir, als sähe ich das Antlitz meiner Mutter. Sie breitete die Arme lächelnd aus gegen mich, als wollte sie mich hinaufheben in die luftigen Höhen.

Ich stand aber unten und sehnte mich hinan in der Mutter Arme. Ich bemühte mich, mich zu erheben, doch es hielt mich schwer zurück. Und die Mutter blickte mich gar freudig an und sprach: „„Getröste dich, mein Kind, dir wird bald Friede werden.““ Die Zweige rauschten und lispelten nun wieder, aber das Antlitz meiner Mutter war verschwunden. Da fuhr ein gewaltiger Windstoß durch den Wald und ich erwachte aus einem traumhaften Sinne. Dieser Traum aber will mir nicht aus dem Geiste. Mich sehnt es nach jenen Höhen der Verklärung und doch weine ich, da ich von Euch scheiden müßte.“ So sprach die fromme Dirne und über ihre Wangen rannen silberne Tropfen, wie Thaukügelchen über das samtne Antlitz der Rose hinabrollen.

Der Ritter hatte die gute Maid umfaßt, und als der Schmerz sie übermannte, da neigte er sein Haupt herab und sprach mit sanftem Tone: „Ach, Elsbeth, betrübe Dich nicht mit solchen Schwermuthsgedanken; habe Hoffnung und Vertrauen auf den Himmel, und siehe! es werden gewiß einst wieder schöne Tage anbrechen, in denen die Menschen sich freudig schaaren um ihren traulichen Heerd, und wo diese Thäler widerhallen werden von dem regen Leben guter Bürger, und dann wirst Du mein Eheweib und das Glück unserer Nebenmenschen und unsere Liebe werden uns mit einem reichen Kranz von Seligkeit umgeben. An dieser Hoffnung richte Deinen Muth auf und erstarke Dein Herz, wenn es verzagen will.“ Elsbeths Thränen versiegten und Eitelheinrich führte sie wieder heim zu ihrer traulichen Wohnung und kehrte dann zu seinem Schlosse zurück.

Und als der Morgen wieder graute, da pilgerte er wie gewöhnlich zu der Wohnung seines stillen Glückes. Allein still und einsam war es da, und als er hineintrat, hörte er kein freundliches Willkommen, kein Laut ertönte; Alles war so ruhig, wie bange Grabesstille. Wie nun der Ritter die Thüre des Kämmerleins öffnete, wehe! da stand er wie versteinert, wie leblos, den starren Blick auf ein niedriges Lager gerichtet, auf dem bleich die gute Elsbeth lag. Die Rosen ihrer Wangen waren verblichen und ihre Augen strahlten nicht mehr wie eine Maiensonne.

Der arme Greis rang sprachlos die Hände und netzte mit Thränenströmen der Tochter bleiches Antlitz. Und der Ritter rief ihren Namen laut, daß er weit wiederklang in der nahen Waldung, und als kein Schimmer des Lebens auf ihre Wangen kehrte, als kein Laut der Liebe mehr von ihren Lippen tönte, da raffte er sich auf und eilte auf sein Schloß und sattelte den besten seiner Rappen und sprengte davon Berg auf, Thal ab. Sein Auge war wie gebrochen und seine Lippen waren krampfhaft geschlossen. Er ritt so weit und breit und lange umher, eine unheimliche Gestalt; bis man eines Morgens sein Pferd in einem Felsenthale, ihn selbst aber entseelt an einer Eiche Stamm liegen fand.

Noch steht jetzt ein Kreuz an der Stelle, wo man Eitelheinrich, seine Leiche gefunden. Von jener schweren Zeit aber leben noch mancherlei Sagen im Munde des Volkes. Die meisten Kapellchen, die man hier und da antrifft, waren Gelöbnisse der Bedrängten. Die Kirchen wurden damals reichlich begabt und viele fromme und mildthätige Anstalten gestiftet. Jene wilden Räuberschaaren hausten noch lange in den Gauen der Eifel, bis endlich ein strengerer Geist der Ordnung und milderer der Gesittung ihrem Unwesen ein Ende machte.

Quelle: J.H.Schmitz, Sagen des Eifellandes, 1. Band, Trier 1847