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Ritter Friedbald von Hamm

  J. Btz

Unfern des als Wallfahrtsort weit bekannten Dörfchens Weidingen, im Kreise Bittburg, erhebt sich, umgeben von einer wildromantischen Gegend, deren gewaltige Felsschichtungen und großartige Berggebilde den Wanderer in Staunen versetzen, auf einem Hügelrücken, an dessen Fuß die reißende Prüm hinrauscht, das Schlößlein Hamm, einst die Wiege eines edlen Geschlechtes, der Grafen von Millberg. Dort hauste, diesem Stamm entsprossen, tief im Hintergrunde der Vergangenheit ein gottesfürchtiger Rittersmann, Friedbald genannt, dessen Leben ganz der stillen Betrachtung Gottes und Werken der Menschenliebe geweiht war. Er verabscheute tief in der Seele die Gewaltthätigkeiten, welche in jener Zeit des rohen Faustrechtes die übermüthigen Rittersleute zu verüben pflegten, und verharrte friedlich auf seinem einsamen Bergschlößlein, wenn benachbarte Ritter sich bitter und blutig befehdeten.

Müde Pilgrime aber, die zu dem wunderthätigen Muttergottesbilde nach Weidingen gewallfahrtet, nahm er gastlich auf in seine stille Burg und bewirthete und beschützte freundlich die frommen Waller. Wurde ihm alsdann erzählt, welch grausame Mißhandlungen die harmlosen Pilger im Lande der Erlösung von dem ungläubigen Sarazenenvolke erleiden müßten, so sprang er voll innerster Empörung auf und schwur beim Schwerte seiner Ahnen, dereinst mit einem gottbegeisterten Christenheere auch die kleinste der Frevelthaten an den frechen Ungläubigen rächen zu wollen. Als daher der Aufruf der Kreuzzugprediger in den deutschen Gauen erscholl und mächtige Heere sich sammelten, das Grab des Erlösers zu befreien, war Ritter Friedbald schnell entschlossen mit seinem kleinen Aufgebote zu dem Sammelorte zu ziehen, wo sich die Mannen der Eifelgaue vereinigten.

Viele blutige Jahre kämpften die hochbegeisterten Pilgerschaaren in dem fernen Morgenlande; doch vergeblich waren ihre heißesten Anstrengungen, das Land, wo der Erlöser gewandelt und gelitten, vollständig in Besitz zu nehmen. Ja, sie mußten am Ende, den unübersteiglichen Hindernissen weichend, die mit vielem und edlem Blute erkauften Eroberungen aufgeben und trauernd ob der nicht in Erfüllung gegangenen Hoffnungen rückkehren zu den heimathlichen Gestaden. Viele der Edlen waren in dem Kampfe gefallen, und begrüßten nimmer wieder, vom kühnen Fehdespiele heimziehend, die Zinnen ihrer stattlichen Burgen.

Den edlen Rittersmann von Hamm aber traf ein noch viel herberes Loos, als der Tod auf offenem Schlachtfelde: er sank in einem heißen Gefechte, von einem Schlage auf's Haupt betäubt, auf das blutige Gefilde, und als in seiner Seele das Bewußtsein wieder aufdämmerte, da fühlte er seine Arme schwer mit Ketten belastet und braune Söhne der Wüste schleppten den unglücklichen Rittersmann in ihre öde Heimath, zu dem Sitze des Todes und der Verzweiflung.

Was in der Brust des von allen Erdenleiden im vollsten Maße bestürmten Kreuzfahrers vorging, läßt sich leicht enträthseln. Wollte der Hohn und die Schmach, mit denen er von dem wilden, ungläubigen Volke überschüttet wurde, sein edles Herz brechen, so hob wieder der trostreiche Hin blick auf den Lenker der Geschicke seinen sinkenden Muth und füllte ihn mit Kraft und Gottvertrauen. Oft trug ihn die Erinnerung, die einzige Freundin, die ihm im feindlichen Leben geblieben, in die Halle seines freundlichen Schlößchens oder in das Kirchlein von Weidingen zu dem Muttergottesbilde. „O möchte es mir,“ rief dann der fromme Ritter, „nur noch einmal in meinem jammervollen Leben gegönnt sein, in dem lichten, freundlichen Kirchlein von Weidingen vor dir, Mutter der Gnade, mein betrübtes Herz auszugießen und dir dort meine kindliche Verehrung zu weihen!“ Aber als habe er schon durch diesen Wunsch seine Ergebenheit in Gottes heiligen Willen verletzt, flehte dann der glaubensvolle Ritter: „Heilige Jungfrau, du Zuflucht der Bedrängten! senke Kraft und Erquickung in meine ermattende Brust, daß ich muthig ausdauere in der Thränenstunde der Prüfung und daß ich freudig anbete und vollende den Rathschluß des himmlischen Vaters.“

So schmachtete, täglich den bittersten Kränkungen ausgesetzt, Graf Friedbald lange, lange Leidenjahre hoffnungslos in der traurigsten Gefangenschaft. Sein Haar war eisgrau geblichen, seine Augen ruhten trauerumflort in tiefen Höhlen und seine hohe Mannesgestalt neigte sich, ein Bild tiefen Seelenleidens, zu Boden. Kein Rettungsweg war dem Unglücklichen im verderblichen Schicksalssturme offen geblieben; aber je mehr seinem Blicke die Erde mit ihren schimmernden Truggestalten schwand, desto sehnsüchtiger wand sich seine Seele den lichten Himmelsmächten zu. Und der Ritter ward nicht zu Schanden, es hielt ihn eine höhere Hand, er warf seinen Anker in eine höhere Lichtwelt. Himmelshoffnung trüget nicht! Schweigen der Nacht ruhte über der öden Wüste und am klaren Himmel schlossen die goldenen Sternlein den bunten Reigen, da lagerte sich der von des Tages schweren Mühen erschöpfte Ritter zum Schlummer. Mit Macht zog es seine Seele im Traume in die friedlichen Thäler seiner Heimath, in die stillen Gemächer seines Schlößchens.

Er tritt ein in das Kirchlein von Weidingen, Tageshelle strömt ihm entgegen, strahlende Engel schweben hin und her, huldvoll lächelt und winket ihm die Himmelsfürstin zu und spricht also zu dem bebenden Ritter: „Zage nicht, Mann der Prüfung; du hast Vertrauen und Hoffnung auf den Herrn gehabt und hast ihm demüthig deine Wege befohlen, und siehe! er wird es wohl machen und dich befreien von deiner Kümmerniß.“ – Und nicht ein leeres, bedeutungsloses Traumgebilde durchschwebte des schlummernden Ritters Seele. Der Morgen dämmerte auf den hohen Berggipfeln von Weidingen, siehe! da liegt unfern des in den Morgenstrahlen rosig schimmernden Kirchleins ein fremder Mann, dessen Züge hohes Staunen ausdrücken, zu seinen Füßen liegt eine wundersam geformte Kette. „Wollen tückische Traumbilder mich Unglückseligen narren?“ ruft er, und seine Blicke schweifen voll Zweifel und Verwunderung über die sich herrlich entwickelnde Gebirgsgegend.

Da ertönt hell und freundlich das Frühgeläute vom Kirchthurme Weidingens; wunderbar klärt es sich auf in den Zügen des Mannes; seine Augen leuchten und sein Antlitz schimmert Verklärung; er rafft sich auf und eilt in das Kirchlein und sinkt zu den Füßen der Gottesmutter: „Weg, unheiliger Unglaube meiner Sinne! Dank dir Gebenedeite, du Hort der Bedrängten, du Helferin in der Noth! Dein Name sei gepriesen! Mein ganzes Leben sei ein Stammeln meiner Verehrung zu dir, ein Preis deiner Güte und Allmacht!“ so rief unter Thränen der Rührung und der Dankbarkeit der wunderbar aus Feindeshänden befreite Rittersmann von Hamm.

Tritt man in das freundliche, den Wanderer aus der Ferne zu stillem Herzensgebete einladende Kirchlein von Weidingen, so erblickt man zur Linken des Hochaltars die Kette, in welcher Friedbald lange Jahre geschmachtet hat. Mancher, dem das Herz im wüsten Getümmel des Lebens sinken will, pilgert nach dem einsamen Dörflein und holt sich Trost und Lebensmuth im Anblicke dieser Fessel, die da klar verkündet Gottes hohe Güte und unbegreifliche Macht.

Quelle: J.H.Schmitz, Sagen des Eifellandes, 1. Band, Trier 1847