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Die braven Köhler

  K. Geib

Dort, wo in wildromantischen Gründen der rauschende Uesbach sich in die Alf ergießt, um weiter mit ihr nach dem Strome hinabzueilen, steht auf waldbewachsener Höhe die ernste Ruine der alten Burg Arras. Doch in grauer Vorzeit prangte hier noch kein Schloß; nur einige Köhlerhütten waren umhergebaut, deren schlichte Bewohner in dem einsamen Nebenthal ihrem friedlichen Tagewerke lebten.

Aber um das Jahr 938, unter der Regierung des Erzbischofs Ruotbert von Trier, zog ein schweres, feindliches Ungewitter gegen diese Landschaft heran. Streifende Heerschaaren der Ungarn, eines damals barbarischen Volkes, hatten sich auf das westliche Deutschland geworfen, und ein beträchtlicher Schwarm derselben war sogar unterhalb Koblenz über den Rhein und bis Kaisersesch und Lützerath vorgedrungen. Raub und Verheerung bezeichneten ihren Marsch; das traurigste Schicksal erwarteten noch die Städte und Felder auf dem Hundsrücken, im blühenden Rheingau, und längst dem Strome hinauf, wenn der wilde Haufen über die Mosel gesetzt hatte.

Da hauset im entlegenen Alfthale ein biederer und rüstiger Köhler; der hatte zwölf mannhafte Söhne, deren jeglichem ein eben so redliches und tapferes Herz, wie ihrem Vater, unter dem rauhen Gewande schlug. Als die Nachricht von der Nähe des zügellosen Feindes erscholl, sandte er diese jungen Männer in das Gebirg, und ließ durch sie alle Freunde und Verwandten umher auffordern, bei ihm zu erscheinen, weil dringende Noth sei. Gern gehorchten solche dem an sie ergehenden Rufe des Mannes, der von Allen mit Ehrfurcht geachtet war, und sogleich hatte sich eine tüchtige Schaar auf der großen Wiese des Thales um ihn versammelt.

Da sprach der heldenmüthige Greis: „Brüder! Es drohet uns ein großes Unheil von der raubsüchtigen Horde, die unser heimisches Land bedrängt. Waffnet Euch! Schützt Euer Hab und Gut, wenn es auch gering ist, und was noch weit mehr als das, schützet, Ihr Männer und Jünglinge, Eure Väter und Mütter, Eure Weiber, Kinder und blühende Jungfrauen! Folget mir! Noch ist der Stahl meinem Arme nicht zu schwer! Meine Söhne und ich werden immer da kämpfen, wo die Gefahr am größten ist. Wir alle kennen die Schluchten dieser Berge und Wälder; da gelingt es uns vielleicht, mit Kraft und List den Feind so lange abzuwehren, bis die Herrn des Landes mit ihren Mannen zu Hilfe kommen. Vertrauen wir auf Gott, unsern Muth und die gerechte Sache!“ Einstimmig erscholl es im Kreise der muthigen Köhler, Hirten und Holzhauer: „Ja, braver Mann! Wir folgen Euch! Laßt uns Blut und Leben wagen für das, was uns ewig lieb und heilig ist.“

Und schnell waren sie gerüstet, theils mit Speer, Pfeil und Bogen, theils mit Waffen, wie sie ihr ländliches Gewerbe gab. So vertheilten sich die kraftvollen Männer unter der weisen und kühnen Führung des alten Köhlers und seiner Söhne, auf den Höhen, hinter Felsen und Gesträuchen, wehrten sich geschickt gegen den heranziehenden Schwarm der Barbaren und thaten ihm manchen empfindlichen Abbruch. Stutzend und betroffen ob des unerwartenden Widerstandes, und unkundig der wilden Gebirgsgegend, wagte der sonst so kecke Feind kein weiteres Vordringen. Unterdessen aber hatten der Pfalzgraf Hermann, so wie die Grafen der Mosel-Maien und Toechirgaue, um ihre ritterlichen Banner zahlreiche Kriegsschaaren vereint. Sie rückten jetzt in Schlachtordnung von verschiedenen Seiten gegen die Ungarn an, und brachten ihnen, nach heftigem Kampf, eine völlige Niederlage bei; denn der größte Theil ward erschlagen, der übrige Theil in die Flucht gesprengt.

Kaiser Otto, der Große, belohnte die Sieger fürstlich, und den Ausgezeichnetsten unter ihnen verlieh er beträchtliche Reichsgüter. Aber auch weit umher ward gepriesen der hohe Muth des Köhlers und seiner zwölf Söhne, welche den der braven Landleute noch immer mehr angefeuert und durch ihren erfolgreichen Widerstand dem tapfern Kriegsheere seinen Sieg erleichtert hatten. Sie erhielten den herrlichsten Lohn; denn der Pfalzgraf schlug Vater und Söhne zu Rittern und der Erzbischof Ruotbert ließ ihnen auf dem Felsengipfel, wo noch die stolze Ruine steht, eine Feste, als Stammburg ihres Geschlechtes und zur künftigen Sicherung des Thales, erbauen.

So ward der ehrenwerthe Köhler der Stifter des berühmten Geschlechts der Arrase, und diese sowohl, als andere Adelsfamilien, aus welchem Glieder sich in jener Schlacht hervorgethan, führten noch in neuerer Zeit sogenannte Spitzwerke, nämlich die Form der länglich runden Ungarschilde, in ihren Wappen.

Quelle: J.H.Schmitz, Sagen des Eifellandes, 1. Band, Trier 1847