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Der Pfeil

  Eduard Wolff

In dem schönen Frankenlande,
Das so reich an edlem Wein,
Das so reich an Rittern war,
Lebt einst Nithard, tapf'rer Kämpe,

In dem Felsenschlosse, mächtig
Herrschend wie ein König mit
Erkanfrieda, dem Gemahl.
Achtzehn Jahre war'n verflossen,

Seit der heil'gen Ehe Bande
Dieses edle Paar umschlungen;
Und noch war kein Pfand der Liebe
Von dem Himmel ihm gegeben,
Das einst seinen Namen erbe
Und den Ruhm des edlen Stamm's.

Grämte sich der fromme Nithard,
Daß ihm Vaterfreuden fehlten,
Hätt' so gerne oft gewieget
Auf den Knieen einen Sohn,
Der ihm hold entgegen lachte,
Wenn er seine Stimme hörte.

Erkanfrieda'n war'n so öde
Ihres Schlosses prächt'ge Räume;
Nicht der Fluren holdes Grün,
Keiner Quelle leises Murmeln,
Nicht der Vöglein Jubellieder,
Die doch das Gemüth erheben,
Konnt ihr einsam Herz erfreu'n.

Ja darinnen war's so öde,
Weinte heiße Thränen immer,
Wenn ihr Nithard in die Fehde
Und die Schlacht gezogen war.

Die Gemächer ihres Schlosses
Waren ihr Gefängniß nur;
Denn was kann das Gold uns bieten,
Wenn Zufriedenheit uns fehlt?

Schwerer ist das Glück zu tragen,
Als das Unglück und der Schmerz.
Doch sich fügend in ihr Schicksal,
Tröstete sie das Gebet;
Das Gebet, der einz'ge Hort,
Der dem Menschen übrig bleibt
In des Lebens Mißgeschicke. –

Jahr auf Jahr war hingeflossen
In des Zeitenstromes Wogen; –
Schon umwölkt des Alters Abend
Dieses edlen Paares Haupt.

Nur dem Wohlthun war sein Leben
Und der Kirche stets geweiht;
Wo ein Armer sich gefunden
Und ein Kranker schmerzlich litt,
Ihm ward Hilfe zugesendet
Liebevoll und unverdrossen.

Als nun seiner Tage Ende
Nithard mälig nahen sah,
Nagt's an seinem Herzen doppelt,
Keinen Erben zu besitzen.

Warum waren ihm gegeben
Denn der Güter große Zahl?
Da durchfuhr ihn der Gedanke
Wie ein lichter Feuerstrahl:
Seinen Reichthum Gott zu weihen,
Frommen Werken zu bestimmen.

Aber schwer fiel's ihm zu wählen
Unter den so vielen Klöstern,
Die die weite Gegend zählte.
Nahm darob des Priesters Rath,
Was er sollte hier beginnen?

„Nimm,“ so sprach der fromme Priester
„Aus dem Köcher einen Pfeil,
Schieß ihn in die Höhe ab;
Lüfte werden fort ihn tragen
Ueber Berg und Thal und Flur:
Und dem Kloster, dem zunächst
Er zur Erde hingesunken,
Schenke Deinen Reichthum dann.“

Nithard freut sich ob des Rathes
Und beschloß darnach zu handeln.
Seinen Vorsatz zu vollbringen,
Kündigte ein großes Fest
Nithard auf dem Schlosse an;
Rief zum Feste seine Freunde
Und der Ritter große Zahl.

Fröhlich ging es her beim Mahl.
Heitrer Sang des Troubadour,
Mehrte noch die Fröhlichkeit. –
Sieben Tage sollte währen
Das Gelag auf Nithard's Burg.

Holde Frau'n mit schmucken Töchtern
Waren bei des Festes Glanz,
Und so herrlich war's beim Tanz!
Wie die jungen Ritter buhlten
Um der Frauen hohe Gunst!

Eifrig dienten ihren Damen,
Aengstlich jeden Wunsch erriethen,
Wie sie tummelten das Roß
In dem Eisentanz so flink!

Herrlich ist es in dem Schutze
Edler Ritter sich zu seh'n:
Sie erhöh'n der Frauen Würde,
Sonnen sich in ihrem Glanz.

Endlich war der Tag erschienen,
Der den Pfeil entsenden sollte;
Herrlich leuchtete der Morgen,
Gold'ne Perlen glitzerten
Anf den Blumen wunderbar;
Aether lag auf ferner Au,
Und der Vöglein frohe Lieder
Tönten aus den grünen Zweigen. –

Früh schon war's im Schlosse rege,
Diener waren flink vollauf;
In dem Burgberinge schnobten
Schön geputzt der Ritter Rosse
Frisch dem Morgenwind entgegen.

In dem hohen Rittersaale
Sammelten die Gäste sich.
Harreten des Nithard Ankunft.
Er erschien. Ein schlicht Gewand
Deckte heute seine Brust.

Friede lag in seinem Antlitz
Und den Gästen leuchtete
Seiner Augen milder Strahl
Biedern Morgengruß entgegen.

Erkanfrieda, von den Frauen
In den Saal geführt, erschien
In des Weibes Würde ganz.
Liebliches Matronenbild!
Deine Züge engelmild,
Zeugten von der Frömmigkeit,
Die Dein reines Herz beseelt.

Pauken, Zimbeln und Trompeten
Töneten mit lautem Schalle
In der Gäste Jubelruf.
Nithard mit den Rittern stieg
Aus der Burg in's Thal hernieder;
Still und feierlich bewegte
Sich der Zug den Pfad entlang.

Unten lag ein hoher Stein,
Manche Sage lebt davon
In des Volkes Munde fort.
Und an diesem angekommen
Griff der Ritter nach dem Pfeile,
Und die Gäste harreten
Um ihn her in weitem Kreis.

Aber, wie ein frommer Sinn
Nichts thut ohne ein Gebet,
Sprach der Priester zu dem Kreise:
„Nithard übt ein schönes Werk,
Lassen wir zum Himmel beten,
Daß es auch gelingen mag.“

Und die Ritter mit den Frauen
Ließen auf die Knie sich nieder,
Beteten das Urgebet:
„Vater unser, Aller Vater,
Der Du in dem Himmel thronst,
Alles preiset Dich, o Vater,
Was durch Dich sein Dasein hat!
Alle müssen Dich erkennen,
Dich als ihren Vater loben.

Unverstand und Laster weiche
Deiner Wahrheit, Deinem Worte!
Alles bete Dich nur an;
Deinen unerforschten Willen
Hilf uns, Vater, jederzeit
Freudig, kindlich, schnell vollbringen,
Wie die liebe Engelschaar,
Die Dir treu - gehorsam ist.

Gib uns heute immerfort,
Brod und Wasser, Dach und Kleid;
Straf nicht Sünden, die uns reuen,
Weil wir Andern auch vergeben.
Hilf uns alle Laster fliehen,
Alles Unglück willig dulden.

Eile, uns von allem Uebel,
Allem Unglück zu erlösen.
Du, der Alles schafft und schenkt,
Hast den Willen, hast die Macht;
D'rum in deines Sohnes Namen,
Sag' ich, Vater, freudig: Amen!“

Nithard an des Pfeiles Spitze
Heftete ein Document,
Das bekundet seinen Willen;
Stellte sich auf jenen Stein,
Legt den Pfeil auf seinen Bogen,
Schoß ihn in die Höhe ab. –

Noch nicht war des Bogens Knarren
Vor der Ritter Ohr verklungen;
Sieh', da öffnet sich der Himmel,
Wolken sanken schnell hernieder
Und ein wunderbarer Duft
Füllte bald die Lüfte an.

Himmelstöne, Harmonien
Hörte man aus Regionen,
Wo die heil'gen Geister wohnen.
Engel schwebten in den Wolken,
Fingen auf des Nithard's Pfeil,
Küßten ihn mit Rosenlippen
Und verschwanden in dem Glanze! –

Längst schon war das Bild zerronnen,
Aber jene Geistersänge
Tönten noch mit süßem Klang.
Und die Ritter und die Frauen
Waren auf die Knie gesunken,
Lauschten mit entzücktem Ohre
Hochbeseelt den Engelchören,
Die ihr Herze wunderbar
Füllten mit der Ehrfurcht Schauer. –

Wer das hohe Glück genossen
Und den Himmel offen sah,
Kann der noch auf Erden weilen?
Glücklich ist, wem Gott ein Zeichen
Seines nahen Rufs gegeben,
Sterben wird er frohen Muthes,
Sehnend sich nach schön'rem Glück.

Noch kein Jahr war hingegangen,
Tönten schon der Nachtigall
Schwermuthvolle Klagelieder
In den Zweigen der Cypressen
Ueber Nithard's stillem Grabe. –

Dieses Grab ist längst verschwunden
Und das Schloß dahingesunken;
Trümmer nur sind noch zu schauen
Statt des prächt'gen Felsennestes;
Niemand ehrt das Angedenken
Dessen, der einst hier gewohnet,
In dem stillen Abendgruße.

Nur der Mond bleichem Antlitz,
Wenn er zwischen Wolken lauscht,
Küßt mit seinem matten Scheine
Nithard's heil'ge Grabesstatt.

An den Stufen des Altares
Knieete der fromme Ansbald,
In der schönen Prümer Kirche.
Durch die hohen Bogenfenster
Fielen gold'ne Sonnenstrahlen
Auf den Altar und die Menge.

In den Strahlen stiegen auf
Weihrauchwolken düfterreich.
Orgeltöne rauschten mächtig
Durch der Kirche weiten Raum,
Und der Christen fromme Sänge
Mischten sich mit jenen Tönen,
Priesen laut des Schöpfers Huld.

Wessen Herz wird nicht gerühret
Ob der hocherhab'nen Handlung
Bei dem heil'gen Messeopfer?
Möchten jene Hochgefühle
Nimmer unserer Brust entweichen!

Schütz' uns, Vater, vor dem Bösen,
Hilf uns, unserm schwachen Herzen
Seinen frommen Sinn erhalten,
Jenen Sinn, für den kein Name
In der Sprache angegeben! –

Plötzlich tönt ein leicht Geräusche,
Wie des Baches leichtes Rieseln,
Wie ein sanfter Wellenschlag;
Leise Sänge, Silbertöne
Schollen aus den Lüften nieder.

Sieh', in holdem Strahlenglanze
Stand ein Engel vor dem Altar,
Einen Pfeil in seiner Hand.
Ehrfurchtsvolle Stille herrschte
In der frommen Christenmenge.
Und der Engel reichte jetzo
Anmuthvoll dem heil'gen Ansbald
Nithard's Pfeil, das Document,
Beugt sich vor'm Sanctissimum
Und verschwand wie leichter Rauch.

Ansbald nahm das Document,
Las es vor mit froher Stimme
Der erstaunten Christenschaar;
Orgeltöne rauschten wieder
Durch der Kirche weiten Raum!

Ansbald nahm des Nithard Güter
Für das Kloster in Empfang,
Dieses wurde reich und stark;
Trotzte oft mit seinen Mannen
Mächt'gen Rittern in der Fehde, –
Ward gefürstete Abtei,
Und sein Ruhm drang in die fernsten
Gegenden des deutschen Reichs;
Selbst ein Kaiser suchte Frieden,
Den ihm keine Krone beute,
In den stillen Klostermauern.

Im romant'schen Eifelgaue
Wurde bald das Wunder kund;
Christen strömten schaarenweise
Hin nach Prüm, den Pfeil zu schauen.
Den ein Engel überbracht.

Lange ward er, wie ein Kleinod,
In dem Kloster aufbewahrt,
Bis er in den Völkerstürmen
Mit den frommen Klosterbrüdern
Gleicher Zeit verschwunden ist.

Quelle: J.H.Schmitz, Sagen des Eifellandes, 1. Band, Trier 1847