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Die Rettung auf dem hohen Veen

  Fischbach

Kennt ihr am Eifelsaum den langen Bergesrücken,
Nach dem am Ruhrgestad die Thalbewohner blicken,
Wenn sie im Lenz und Herbst den Winter wollen sehen,
Rheinlands Siberien, kennt ihr das hohe Veen?

Da ging ein armes Weib, zum sechsten Mal gesegnet,
Zum Nachbardorf um Brod, doch unterwegs begegnet
Ihr unverhofft die Stunde ihrer Weh'n,
Als Schneegestöber rings umhüllt das hohe Veen.

Nach Hause lenkt sie um, doch ihre Kräfte fliehen,
Vor einem Heil'genbild, dem Bilde von Marien,
Sinkt sie gebärend hin, es häufet sich der Schnee,
„Hilf Mutter Gottes!“ stöhnt ihr Herz im tiefen Weh.

„Bedenke wie auch Dich auf einer Pilgerreise
Die Stunde überrascht!“ Sie stöhnt's, und leise, leise
Pocht ihr das Herz, es lag in ihrem Schooß ein Kind,
Schnee war sein erstes Kleid, sein Wiegenlied der Wind.

Sie nimmt es an die Brust, die mütterliche, warme,
Doch ach, sie wird zu Eis, erstarrt sind ihre Arme.
Da naht auf stolzem Roß ein rüst'ger Reitersmann,
Er sieht das starre Weib mit ihrem Kindlein an.

Still steht das edle Roß und scheint ihn anzuflehen,
Der Noth durch rasche That als Ritter beizustehen.
Doch kalten Herzens gibt er seinem Roß den Sporn,
Vergebens sträubt es sich, der Reiter hackt im Zorn

Die scharfen Zacken tief ihm zwischen seine Rippen,
Da rennt es wüthend fort, fort zu den nahen Klippen.
Hochbäumend warf es ihn am Rand des Felsens ab,
Dort in der Kluft fand er sein frühes Grab.

Rasch dreht das Roß sich dann, es eilet gleich dem Winde,
Und bald hat es erreicht die Mutter mit dem Kinde.
Es neiget sein Kopf und haucht sie wärmend an,
Daß beide neuen Lebensgeist in sich empfah'n;

Es haucht und hauchet fort, und sieh! die starren Glieder,
Sie thauen mälig auf; das Leben kehret wieder.
Die Mutter drückt das Kind inbrünstig an das Herz,
Und freudig weinend blickt ihr Auge himmelwärts.

Dann streichelt sie das Roß, das vor sie hin sich strecket,
Und ihr den Mantel beut, der seinen Rücken decket.
Sie hüllet sich hinein mit ihrem nackten Kinde,
Besteiget dann das Roß, das sanft sie und geschwinde

Zu ihrer Hütte trägt; still stand es an der Schwelle.
Mit ihren Kindern ist ihr Gatte bald zur Stelle.
Wer nennet ihr Gefühl? Laut betete die Schaar:
„Gepriesen sei, o Herr! gepriesen immerdar!“

Quelle: J.H.Schmitz, Sagen des Eifellandes, 1. Band, Trier 1847