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Der Schuster bei der Leichenwache

In einem der Walddörfer (Waldow, Schönewalde, Freiwalde, Reichwalde haben auch den zusammenfassenden Namen „die Walden“) lebte vor hundert Jahren ein Schuster, der zwar immer sagte, er fürchte sich vor keinem Teufel, dem man aber nachredete, er sei ein Angsthase. Lange fand sich keine Gelegenheit zu probieren, ob er wirklich ein furchtloser Mensch wäre. Da kam eines Abends ein Wagen in das Dorf gefahren, auf dem ein Sarg stand. Der Fuhrmann, der von weit her kam, sagte, es läge eine feine Leiche im Sarge, die er nach Finsterwalde fahren sollte. Die Nacht über stellten die Leute den Sarg in die Kirche. Als der Fuhrmann zu Bette gegangen war, saßen die Leute noch in der Schenke. Der Schuster war auch dabei. Da sagte einer, wenn der Schuster so tapfer wäre, wie er immer sage, dann solle er doch die Nacht mal bei der Leiche in der Kirche wachen. Der Schuster sagte ja, und die Leute wetteten auf ihn, ob er bis zum Morgen da sein würde oder ob er ausrücken würde. Der Schuster ging nach Hause und holte sich seinen Schemel und Leder und sein Handwerkszeug und brannte sich eine Lampe an, um die Nacht über zu schustern. Erst war alles still. Aber als die Glocke zwölfe geschlagen hatte, fing es in dem Sarge an zu krabbeln, und auf einmal fing der Deckel an sich zu heben. Der Schuster kriegte einen mächtigen Schreck, aber als erst eine Hand herauskam und dann ein Kopf, faßte er sich Mut und gab dem Gespenst einen ordentlichen Hieb auf den Schädel und sagte: Wer tot ist, läßt sein Kieken. Alle guten Geister loben Gott, den Herrn! Da zog das Gespenst den Kopf wieder in den Sarg hinein, und der Deckel fiel wieder zu. Der Schuster arbeitete dann weiter, bis es hell wurde. Da kamen die Leute, die auf ihn gewettet hatten, und wollten sehen, ob er noch da wäre. Als sie die Kirche aufschlossen, fanden sie den Schuster und freuten sich, daß sie ihr Geld gewonnen hatten. Da erzählte der Schuster, was ihm in der Nacht passiert war, und nun guckten sie den Sarg nach. Da lag innen ein toter Räuber. Der hatte wollen die Kirchenkasse aufbrechen und alles stehlen. Der Schuster hatte ihn mit seinem Hammer tot geschlagen. Nun liefen die Leute nach der Schenke, weckten den Fuhrmann und brachten ihn nach Luckau aufs Gericht. Da wurde auch er als Räuber erkannt und hingerichtet. Die Bauern schenkten aber dem Schuster, weil er so tapfer war, den Wagen und die Pferde, und es ging ihm gut, bis die Franzosen kamen, die ihm alles wegnahmen. Hernach starb er. Aber viele Leute sagen seit der Zeit, wenn einer nicht gucken soll oder naseweis ist: wer tot ist, läßt sein Kieken.

Quelle: Robert Scharnweber & Otto Jungrichter: Sagen, Anekdoten und Schnurren aus dem Kreise Luckau N.-L., Berlin 1933