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Das Rosenmädchen von Nixdorf

(Hinterhermsdorf)

  Mitgeteilt in der Fassung von Fanny Zekel aus Schluckenau, Böhmen (= Heimatskunde des 
  politischen Bezirkes Schluckenau; herausgegeben von J. Fiedler, 1898). Diese romantische 
  Sage findet hier Aufnahme, weil die Verfasserin a. a. O., S. 260 Fußnote, ausdrücklich 
  bemerkt, daß dieselbe Sage auch im benachbarten Hinterhermsdorf in Sachsen erzählt werde. 
  Quelle dafür ist wohl das höchst selten gewordene «Gedenkbüchlein. Eine Zusammenstellung 
  der wichtigsten Ereignisse zu Nixdorf und der umliegenden Orte» von J. C. Deutrich, Lehrer 
  zu Hinterhermsdorf, Rumburg 1855. Die Sage steht dort in sehr breiter Ausführung S. 23ff., 
  und Deutrich nennt als ursprünglichen Fundort Horns «Lausitzer Annalen» (Budissin 1651, Bd. 
  II, S. 317) sowie ein altes Manuskript, unterzeichnet von Cäsar Billing (?).

In einer Ecke des Nixdorfer Friedhofes war um das Jahr 1560 eine kleine Gruft, welche einer Familie Schubert gehörte. Das Schloß war schadhaft, daher die Tür nur lose angelehnt, weshalb sie leicht geöffnet werden konnte. Gerade dieses aber interessierte die Mädchen, die mit des Totengräbers einzigem Töchterlein Elsbeth gern in der Nähe spielten und gar oft voll Neugierde hineinblickten oder sie wohl gar als Versteck erwählten.

Der letzte Sarg, welcher in der Gruft beigesetzt war, enthielt die Leiche eines zehnjährigen Mädchens, das nach kurzem Unwohlsein gestorben war.

An einem Sonntag Nachmittag spielte dort Elsbeth mit neun anderen Mädchen im Alter von neun bis zehn Jahren. Frohe Lebenslust strahlte aus aller Augen, und heiteres Lachen war weithin zu hören. Plötzlich stand in dem Kreise ein fremdes Mädchen im weißen Kleide und mit einem Kranze aus Rosen auf den blonden Locken. Gern ließen sie es mitspielen, und so groß war die Lust, daß sie es gar nicht bemerkten, daß es schon dunkelte und einzelne Sterne am Himmel sichtbar wurden. Endlich löste sich der Kreis; alle nahmen Abschied von dem fremden Mädchen, das sie so lieb gewonnen hatten, und gleichsam aus Dank nahm dieses sein Kränzchen vom Kopfe und setzte es einer Bäckerstochter auf, neben der es beim Spiel gestanden war. Als alle noch den Vorgang besprachen, war das Mädchen verschwunden. Das mit dem Kränzchen beschenkte Kind aber erkrankte am nächsten Morgen, starb nach drei Tagen und wurde Samstag begraben. Den darauffolgenden Sonntag spielten nur neun Kinder. Bald erschien zu aller Freude das fremde Mädchen wieder. Auch diesmal blickten schon die Sterne vom Himmel, als sie sich trennten, und wieder setzte das fremde Kind sein Kränzchen einem der neun Mädchen auf; dann war es verschwunden. Als das Kind mit dem Kränzchen heim kam, erschrak die Mutter. Und nicht umsonst, denn am nächsten Morgen erkrankte es und starb nach drei Tagen. Samstag war das Begräbnis. So geschah es nun alle Wochen. Immer Sonntags kam eines dieser Kinder mit dem Rosenkränzchen heim, erkrankte Montag, starb nach drei Tagen und wurde Samstag begraben. Neun Mädchen waren nun schon weg, und alle lagen in einer Reihe. Da grub der Totengräber ein zehntes Grab, daneben aber ein großes, obwohl niemand gestorben war. Da kam Elsbeth, sein Töchterchen, das allein noch von der Spielgesellschaft übrig geblieben war, den Vater heimzuholen. Neugierig fragte sie, für wen diese zwei Gräber seien. «Für mich und dich» erwiderte der Alte traurig. «Aber ich bin ja noch ganz gesund», sagte Elsbeth, «und auch du stirbst noch lange nicht, glaub' es nur!» «Wie Gott will!» murmelte der Totengräber. «So, jetzt bin ich fertig. Komm Elsbeth!» Unterdessen war es vollends dunkel geworden, und ein kühler Nachtwind strich über die Gräber. Bevor Elsbeth mit ihrem Vater den Friedhof verließ, rief sie zurück: «Gute Nacht!» - Von der Gruft her antwortete eine helle Stimme: «Gute Nacht! Schlaf wohl! Bald sehen wir uns wieder!» Elsbeth erkannte daran voll Freude das Rosenmädchen. - Noch in der Nacht erkrankte Elsbeth, und trotz aller ärztlichen Hilfe starb sie. Zu Füßen aber saß der Vater, den Kopf auf dem Bettrand liegend, und als die Mutter ihn wegführen wollte, war auch er verschieden. - Die Mutter lebte noch einige Jahre und pflegte mit sorgender Hand die Gräber ihrer Lieben; dann starb auch sie und wurde neben ihnen bestattet. Von dem Rosenmädchen aber sah und hörte man nichts mehr.

Anm. : Die angebliche Quelle, Horns Lausitzer Annalen von 1651, war weder in den Bibliotheken zu Bautzen, Görlitz und Dresden aufzufinden noch überhaupt irgend einem Oberlausitzer Forscher bekannt. So muß man annehmen, daß sie, gleichwie das Manuskript des ebenfalls ganz in Dunkel gehüllten Cäsar Billing, freie Erfindung des oben genannten Chronisten Deutrich ist. Damit wird auch die Echtheit der Sage selbst zweifelhaft.

Quellen: