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Farnsamen macht unsichtbar

  M. I, Nr. 44; II, Nr. 815; 
  Dr. Pilk im «Sächs. Erzähler» 1893, Nr. 49, Beiblatt.

In der Johannisnacht wächst auf dem Valtenberge (und auch auf benachbarten Höhen) ein Farnkraut, das im Gegensatze zu den Pflanzen seiner Art auch sichtbar blüht. Es sprießt aus der Erde hervor, trägt Blüten und Früchte, alles in ein und derselben Nacht. Der Samenstaub dieses Farns hat die wunderbare Eigenschaft, den Menschen, welcher ihn bei sich führt, unsichtbar zu machen. Einst ging ein Bewohner von Neukirch in der Johannisnacht über den Valtenberg. Er streifte im Vorüberschreiten einen solchen Farnwedel, dessen Samen herabstäubend ihm in die Schuhe fiel. Bald darauf gelangte er aus dem Walde heraus in das mondbeglänzte Tal, das hell fast wie am Tage, dalag. Quer über seinen Weg wandelte ein wohlbekannter Freund, der ebenfalls von einem weiten Gange erst heimkehrte. Er reichte ihm die Hand mit den Worten: «Guten Abend, Friedel!» «Heiliger Gott» schrie der Angeredete, «was war das?» und eilte geschwind davon. Näher beim Dorfe überholte er seine Base, die vom Besuche bei einer Kranken aus den Hübelhäusern zurückkehrte. «Bist' auch noch nicht schlafen, Paulinchen?» fragte er dieselbe. «Alle guten Geister loben Gott, den Herrn» kreischte die Frau und ergriff die Flucht. Der Wanderer schüttelte das Haupt über das sonderbare Benehmen seines Bekannten und schritt fürbass seinem Gehöfte zu. Dort begrüßte er sein Weib und seine Tochter, welche noch wach geblieben waren, um den Vater zu erwarten. Diese erschraken, als sie seine Stimme im Zimmer hörten doch ihn selber nicht sahen. Verstört blickten sie umher, denn sie hielten den Gekommenen für einen Geist. Erst als er die Schuhe auszog, erkannten sie die Gestalt des Vaters. Der Farnstaub in seiner Fußbekleidung hatte ihn den menschlichen Augen entrückt.

Quellen: