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Der rote Balzer

  E. Thomas, Langburkersdorf (sa.), in der Halbmonatszeitschrift " Der Fahrtgesell", 
  Dresden 1926, Heft 6, S. 93. Nr. 1. 
  Aus dem Volksmunde

Zwischen dem Dörfchen Ottendorf und dem Ottendorfer Räumicht. das, eine halbe Stunde von ihm entfernt, verträumt im Walde gegen Saupsdorf zu liegt, ist der Rote Busch. Im Roten Busche soll's nicht recht geheuer sein. Dort spukt der rote Balzer.

Ein Dorfweibl bemerkte eines Abends mit Schrecken, daß die Spreu für ihre Ziege arg zur Neige ging. Es nahm sich vor, noch vor Tagesanbruch in den nahe gelegenen Roten Busch zu gehen und einen tüchtigen Korb Laub zu holen, damit ihre Ziege wieder ein weiches, sauberes Lager bekommen könnte. Recht früh wollte sie aufbrechen, wie sie es schon so oft getan hatte, die gute Frau; denn das Spreuholen ist verboten, und der Förster ist hart und schreibt sie auf. Dann geht's über ihre Groschen. Und das möchte sie vermeiden.

Die Frau geht zeitig schlafen, und als sie aufwacht, webt draußen schon die Morgendämmerung. Sie kriecht hurtig in ihre Kleider, nimmt den Rechen, huckt den großem Spreukorb auf und macht sich auf, zum Roten Busche. Flugs geht's an die Arbeit. Sie muß sich sputen, damit es nicht zu spät wird und ihr nicht der Förster über den Hals kommt.

Da hört sie über sich ein höllisches Pfeifen, und schon kommt's über den Roten Busch herein: Groß und ungeschlacht, einen Floßhaken in den Händen, ein rotes Bartgewölle bis zum Gürtel. Hilf Himmel, der rote Balzer! Das Weibl läßt den Korb liegen, wirft den Rechen weit von sich und läuft, daß die Kittel nur so fliegen. In Schweiß gebadet kommt's daheim an. Ein Blick auf die Uhr - es ist 1/2 1. Geisterstunde! Die Morgendämmerung hatte ihr der Mond vorgegaukelt, der noch hinterm Roten Busche war und nun längst, breit lachend, über den Birken und Buchen stand. In ihrer Hast hatte sie ihn nicht gesehen, hielt sein bleiches Licht für die Morgendämmerung und konnte so vom roten Balzer überrascht werden zur Geisterstunde.

Quellen: