<<< zurück | Sagen aus Thüringen - Orts- und Volkssagen | weiter >>>

Luthart und die Ilmnixe

  Heinrich Döring

Das adelige Gut Krommsdorf, anderthalb Stunden von Weimar gelegen, war ehemals der Sitz eines mächtigen Geschlechts, das seit Jahrhunderten erloschen. In der Burg des Junkers Lippold, der dort hauste, ward tüchtig geschmaust und gezecht; denn er feierte sein Beilager mit Agnes, einer Schwester des Marschalls Wittig von Treffurt. Die zahlreich versammelten Gäste waren heiter und froh. Nur den jungen Luthart ließ der allgemeine Jubel kalt. Er schlich sich hinaus in's Freie, traurig auf und nieder wandelnd unter den Erlen am Ufer der Ilm. Bitter beklagte er seine Armuth, die ihn, obschon aus edlem Stamme entsprossen, zum Söldnerdienst beim Krommsdorfer Junker verdammte, für den er oft hatte kämpfen müssen in unrühmlichen Fehden. Eine tiefe Stille herrschte ringsumher. Da erscholl plötzlich ein sanft verhallender Gesang, der aus den Tiefen der Ilm zu kommen schien. Luthart lauschte verwundert den wundersamen Tönen, die aus einer weiblichen Kehle zu kommen schienen. Der Inhalt des Liedes versprach dem aufmerksam Horchenden die beglückenden Freuden der Minne und daneben Reichthum und Ueberfluß, der seiner harre tief unter den Wogen. Da näherte sich, als die verlockenden Töne schwiegen, der trauernde Luthart unwilltürlich dem Ufer der Ilm und rief, leise fragend: „Erlinde!„ Hoch brauste die Fluth empor, rings bedeckt mit einem schneeweißen Schaum, und von einem leichten Gewande umflattert, ebenfalls blendend weiß, tauchte eine jungfräuliche Gestalt hervor aus den Wellen. Goldene Locken ringelten sich herab von ihrem Haupt, das ein Rosenkranz schmückte. In ihren himmelblauen Augen strahlte freundliche Theilnahme. „Du hast meinen Namen genannt,“ sprach sie, hier bin ich. Was willst du?„ Da entwarf Luthart mit Offenheit ein rührendes Gemälde seiner Armuth und schilderte unter Anderm, wie er schnöd' abgewiesen worden von dem Juden Abraham, bei dem er ein Stück Tuch zu Wams und Mantel habe borgen wollen, da beides längst unscheinbar und zerrissen. Erlinde aber reichte ihm, als er seine Erzählung geendet, einen Beutel mit Gold mit dem Bemerken, daß er sich Rüstung und Roß, Kleider und Waffen kaufen möchte. Als Luthart nun fragte, was er ihr zum Pfande der Wiederbezahlung des Geldes geben solle, welches sie ihm, wie sie sagte, leihen wolle, schwebte sie auf ihn zu und sprach, einen glühenden Kuß auf seine Lippen drückend: „Gelobe mir, Niemand zu sagen; wer dir dies Geld gegeben, und nie zu gestehen, daß ich -“

In diesem Augenblicke ließen sich Tritte vernehmen, und Erlinde tauchte wieder hinab in die schäumende Fluth. Die Herannahenden waren Agnes, die Braut des Junkers Lippold, und der weibliche Theil der Hochzeitgäste; sie hatten sich zurückgezogen von dem wilden Zechgelage in der Burg und Angelruten ergriffen, um sich am Fischfange zu ergötzen. Da schlug die Schwester des Junkers Lippold, die holde Adelheid, die unlängst Witwe geworden, den in tiefe Gedanken versunkenen Jüngling neckend auf die Schulter und sprach: Einsamer Schwärmer, willst du auch Fische fangen? Du solltest lieber Herzen zu angeln suchen. Komm zu mir nach Flurstedt,“ fügte sie leise hinzu, während die Anderen beschäftigt waren, die Angeln auszuwerfen; „tritt in meine Dienste, es soll dir wohl ergehen.„ Ihr Blick voll Liebessehnsucht traf den seinigen. Er wußte nicht, was er antworten sollte, schlich sich fort in's Schloß in sein Kämmerlein, versunken in mannigfache Gedanken.

Es begab sich aber, daß er einige Tage später auf Lippold's Befehl dessen Schwester, die holde Adelheid, begleiten sollte nach Flurstedt. Da wiederholte sie den süßen Antrag und schob ihm zugleich ein Ringlein an den Finger, mit dem Bemerken, er möge es zu ihrem Andenken tragen. Dann drückte sie ihn heftig an ihre Brust und küßte ihn. Unter mancherlei Gedanken über dies Abenteuer war er zurückgekehrt nach Krommsdorf. Die holde Adelheid stand noch immer vor ihm in ihrem ganzen Liebreiz. Aber Erlindens Bild war nicht erloschen in seiner Seele. Er wandelte unter den Erlen an der Ilm umher, schaute hinein in die Wellen und lispelte: „Erlinde!“ Da brauste die Fluth, die Wogen wirbelten empor, und aus dem weißen Schaum erhob sich die wohlbekannte Gestalt der Ilmnixe. Aber ihr Auge war nicht so mild und freundlich wie früher. Ein tiefer Gram umwölkte ihre Züge. „Gehe nicht nach Flurstedt,„ sprach sie warnend, bedenke, daß du mein Schuldner bist, und vergiß nie, was du mir gelobt!“ So sprechend verschwand sie in den rauschenden Wogen.

Bescheiden ritt einst Luthart neben dem Wagen einher, der seinen Herrn, den Junker Lippold und dessen Gattin Agnes nach Erfurt brachte, wo sie auf dem Markt, der dort gehalten ward, mancherlei einkaufen wollten. Luthart betrachtete eben in einer damals hochberühmten Waffenschmiede eine schöne, blanke Rüstung von wundersamer Arbeit, als ein allerliebstes Mädchengesicht, in sittsam bürgerlicher Kleidung, die Frage an ihn richtete, ob er sich hier etwas aussuchen wolle. Er erkannte sie sogleich. Es war Erlinde. „Kaufe dir, „ flüsterte sie ihm zu, „was du gern hättest!“ Dabei reichte sie ihm abermals einen Beutel mit Gold, wiederum ihn warnend, nie zu gestehen, von wem er ihn erhalten habe. Er wollte ihr danken, allein sie war verschwunden. Da kaufte sich Luthart allerlei Waffen, ein schönes Roß und gar prachtvolle Gewänder in Erfurt. In einem Glanze, der sich nicht geziemte für seinen Stand, erschien er seitdem in Krommsdorf und veranlaßte dadurch die Frage des Junkers, wie er zu den vielen schönen Sachen und zu dem Gelde, das zum Ankaufe erforderlich, gekommen sei. Luthart antwortete kurz, er habe es geschenkt erhalten, und äußerte, als der Junker ernstlich in ihn drang, daß er, wenn auch sein Söldner und zu seinem Dienste verpflichtet, doch eben nicht nöthig habe, über erhaltene Geschenke nähere Auskunft zu geben. Entrüstet über diesen Starrsinn ließ der Junker ihn in's Burgverließ werfen, wo der furchtbare Schmerz der Folter ihm endlich das Geständniß erpreßte, daß Erlinde, die Ilmnixe, ihm das Geld gegeben. Ich rede die Wahrheit,„ sprach er, seinen Geist aufgebend, „und fordere dich zur Rechenschaft vor Gottes Richterstuhl.“

Kaum waren diese Worte dem Munde des Sterbenden entflohen, da erbebte das Burgverließ. Wie Schlossen rauschten schäumende Wellentropfen herab aus der Höhe. Ein hohes göttergleiches Wesen stand vor dem erschrockenen Lippold. Es war Erlinde. „Von mir,„ sprach sie, empfing Luthart die Geschenke. Er erlag dem Schmerze, aber er hätte nicht bekennen sollen, ich würde ihn gerettet haben. Sein Tod belastet deine Seele. Zur Strafe dafür wird dein Geschlecht aussterben und vergehen, und du selbst wirst binnen vierundvierzig Tagen erscheinen vor Gottes Richterstuhl, wohin der sterbende Luthart dich gefordert. “

Sie verschwand. Bleich und verstört wankte der Krommsdorfer zurück in den Burgsaal. Erlindens Wort ging buchstäblich in Erfüllung. Am vierzigsten Tage rührte den Junker Lippold der Schlag und ein schneller Tod raffte ihn hinweg aus dem Kreise der Lebenden. Sein Geschlecht starb aus im dritten Gliede. Seine Gattin Agnes nahm den Schleier im Kloster Ettersberg und Adelheid ward eine Nonne im Kloster Döbrißschen.

Quellen: