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Von der Gründung Rastenbergs und von der Entstehung seines Heilquells

Kurz vor den Zeiten der großen Völkerwanderung herrschte in Skandinavien der König Gram; der hatte die Schweden die Wucht seines Schwertes schwer fühlen lassen, und auch die Nachbarn und Verbündeten derselben, die Finnen, an der Newamündung durch räuberische Landung hart bedrängt. Da gedachte Simblus, der Finnenkönig, zur Sicherung des Landes und zu der Feinde Demüthigung ein Bündniß mit den Sachsen zu schließen, und damit das Band, welches die Völker von nun an verknüpfen sollte, inniger und dauernder noch um sie geschlungen werde durch die Verbindung der Herrscherfamilien: so freite Heinrich, der junge Sachsenfürst, des Finnenkönigs schöne Tochter. Viel stattliche Kämpen, glänzend im Waffenschmuck, bestiegen mit ihm die bunt bewimpelten Schiffe zur fröhlichen Brautfahrt über das Meer. Ein frischer Wind legte sich in die vollen Segel und mit den Wolken um die Wette flog das Geschwader über die krystallene Fluth. Bald waren sie den ersehnten Küsten nahe, und es landete der theure Held; aber die Sonne ging in Nebeln auf, ein bleicher Lichtschein nur verbreitete sich über die Flächen; die grauen Felsen am Ufer verbargen ihre kahlen Häupter in dem Schaum der Wellen und murmelten Klagelieder aus tiefstem Grunde.

Indeß zu Rasseborg am finnischen Meerbusen, wo Simblus königlichen Hof hielt, erscholl Freude in den festlich geschmückten Hallen; Skiath, die liebliche, saß an des Sachsenfürsten Seite beim hochzeitlichen Mahle, ringsum die Edelsten der befreundeten Völker. Doch ehe die Mitternacht herbeikommt, erschreckt fremder Waffen Getöse die Gäste. Heimlich war der Dänenkönig Gram an das Land gestiegen. Gewaltsam werden die Pforten aufgestoßen und die Freudenmahlsstätte wird zur traurigen Wahlstatt. Skiath fällt bewußtlos zu Boden, der greise Vater wird von dem erbarmungslosen Schwerte der Dänen dahingewürgt; Heinrich selbst aber, schreitend über die theure Leiche und die Braut schirmend, kämpft mit der Kraft eines Gottes. Da dringt der befreundete Klang eines Gifthorns in den Saal, Roderich, des Finnenkönigs Vetter, kehrt vom fernen Kriegszuge heim zur guten Stunde, bricht sich Bahn mit gewaltigen Streichen; die Dänen bestürzt, im Rücken bedroht, müssen weichen und segeln, sich begnügend mit des Königs Mord und dem angerichteten Blutbade, auf beflügelten Schiffen davon .

Bald auch kehrte Heinrich und viele seiner Getreuen, die dem Tode entronnen waren, heim; auch Tausende von den Finnen, von Roderich geführt, verließen damals mit Weib und Kind und Habe den blutgetränkten, feindesoffenen Boden ihrer Väter, um in den Länderstrecken jenseits des Harzes, wo die Thüringer hausten von den Sachsen, deren Grenznachbarn, dazu ermuntert eine neue Heimat sich zu begründen. Und wie alle Auswanderer selbst in der Ferne sich noch immer stark angezogen fühlen an das verlassene Vaterland, und lieben, in dem Neuen das Alte gleichsam zu verjüngen, so gab Roderich der Ringburg, welche er auf dem äußersten, nach heißem Streite den Thüringern entrissenen Berge - dem heutigen Streitholze erbaute, nach der alten Hofburg seiner Väter in Finnland den Namen Rasseburg. Noch zeigt tief im Waldesdickicht bemoostes Gestein und ein Ringgraben dem Wanderer die Stätte, wo sie stand.

Doch nimmer konnten es die Thüringer verwinden, daß fremde Eindringlinge mitten in ihrem Lande saßen, und immer von Neuem entbrannte die Fehde. Da erkoren sie endlich den tapferen Segimer zu ihrem Herzog, um die Finnen wieder aus den vaterländischen Bergen zu vertreiben; selbst die edelsten Jungfrauen des Stammes erschienen im Feldlager, stimmten Kriegsgesänge und heilige Lieder der Barden an und entzündeten in den Herzen ihrer Brüder und Freunde den langgenährten Haß zur wildesten Kampflust; die Priester aber weissagten Sieg. Doch auch die Finnen waren kampfgerüstet; auch ihnen hatten ihre Priester Sieg verheißen. Sie hatten sich aber, den Helden Roderich an ihrer Spize, der noch keinem Feinde gewichen war, auf dem rothen Berge wo jetzt das Dorf Rothenberge gelagert, entschlossen, mit ihrem Blute diese Erde, worauf sie ständen, roth zu färben und zu ihrem künftigen festen Besitzthum dadurch zu machen. Der Aufgang der Morgenröthe gibt beiden Theilen das Zeichen zum Angriff; je höher die Sonne steigt, desto heißer entbrennt der Kampf. Siegesmuthig durchbricht Segimer die Schlachtreihen seiner Gegner, seine Mannen drängen ihm nach. Da trifft ein Speer des Helden Fuß, er wankt, ein Schwertstoß trifft die Brust und er sinkt. Seine Getreuen tragen ihn aus dem Kampfgedränge und legen ihn nieder unter dem Schatten einer breitastigen Buche am nahen Waldesrand; die Finnen dagegen erheben ein lautes Jubelgeschrei und schon halb geschlagen, nutzen sie die entstandene Verwirrung und unentschieden schwankt der Sieg, bis am Abend die Priester dem Morden ein Ende machen und den Spruch der Götter verkünden: Friede herrsche fortan, und der Thüringer und der Finnen Volk verschmelze in Eines. „ Also geschah es. Blutend aber lag Segimer todesmatt am Waldesrande und wähnte von den Walkyrien auf schnellen Todesrossen schon gen Walhalla erhoben zu werden, da eilt auf die Schreckenskunde von seinem Fall Ludmilla, die Geliebte seines Herzens, die edelste der Jungfrauen, auf die Wahl statt, den theuren Helden zu suchen. Und sie findet ihn an jenen Baumstamm gelehnt und fällt auf die Knie zu seinen Füßen nieder, und ruft die unsterblichen Götter um Hilfe an und Hertha, die Mutter des Lebens. Und siehe, als sie noch klagte, rieselt aus einer klaffenden Felsspalte ein Quell hervor, frisch und silberklar - der heutige Kläfferbrunnen – ein Zeichen der Erhörung ihres Gebetes und der Gnade der Götter. Wo aber im Thalgrund sie gewandelt und ihre Schmerzensthränen geflossen, da sprudeln heilende Brünnlein aus dem Boden, und sie netzt die Lippen des Sterbenden mit dem Felsenquell und badet die tiefen Wunden mit dem Heilwasser, und o Wunder, nach kurzer Frist rinnt frisches Leben in den Adern, es heilen die Wunden und neu gekräftigt erhebt sich der Held und beschließt mit Ludmilla, seinem ehelichen Gemahl, fortan hier zu rasten an dem Berge, der ihren Schmerz und ihre Wonne gesehen. Und sie bauten bald nachher ein stattliches Haus daselbst und nannten es Rastenberg und lebten allda noch lange Jahre in Frieden und Freude.

Quellen: