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Das Waldweibchen auf der Wagendeichsel

  Börner Volkssagen S. 212 f.

In Wöhlsdorf war ein Schafknecht, der trieb seine Heerde gewöhnlich nach dem Brandholze hin, das nicht weit von Nanis liegt, und dort wo der Pferch aufgeschlagen war, stand auch der kleine Karren, darin der Knecht seine Mittagsrast hielt und zuweilen übernachtete. Dem gesellte sich ein Wald- oder Holzweibel zu und klagte ihm oft die Verfolgungen, die es mit seinen Verwandten vom wilden Jäger zu erdulden habe, erzählte auch, wie nur die Holzstöcke, darauf drei Kreuze in einem Zwickel eingehauen seien, gegen diese Verfolgungen eine Zufluchtsstätte und Sicherheit gewährten. Da schnitt der Schafknecht aus Mitleid mit seinem Taschenmesser drei tiefe Kreuze in die Deichsel seiner Hütte ein, damit das kleine Weibchen darauf Ruhe finden möge. Das Mittel war gut. Denn so bald das Jagdgetöse im nahen Walde sich erhub, flüchtete das Weibchen heraus auf die schützende Deichsel und war sicher vor den Nachstellungen des wilden Jägers. Dankbar für diesen Schutz beschenkte es den Knecht, den es immer fleissig stricken sah, mit einem Garnknaul, der so versicherte das Weibel - nie ein Ende nehmen werde, auch wenn er sein ganzes Leben lang daran stricke. Die Leute aus der Umgegend haben es oft gesehen und sich darüber gefreut, wie das Waldweibchen auf der bekreuzten Deichsel ganz guter Dinge sich schaukelte und mit dem Schäfer freundliches Gespräch hielt, der daneben sass und fleissig von dem Garnknaul strickte. Der wilde Jäger mochte aber doch dem kleinen Wesen auf die Spur gekommen sein und so geschah es, dass er eines Nachts mit dem ganzen wüthenden Heere heranbrausste und weil er das Waldweibchen von den drei Kreuzen, darauf es sich nach seiner Gewohnheit geflüchtet hatte, nicht herunterbringen konnte, die ganze Wagendeichsel abbrach und Deichsel und Weibchen mit sich fortführte.

Von dem geschenkten Knaule strickte der Knecht noch viele Jahre fort und erzählte Jedermann, wie er dazu gekommen war und was es für eine Bewandtniss damit hatte. Einst stritt er darüber mit einem Bekannten, der die Sache nicht glauben wollte, und rief in seinem Eifer aus: „ei so wickle selbst davon los und behalte für dich, so viel du willst, ich weiss und sage dir, der Knaul nimmt kein Ende. “ Als aber jener dieses that, hatte der Knaul alsbald sein Ende.

Quellen: