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Die Prinzessin in Wittgenstein

  L. Storch a. a. O. S. 50 ff.

Wer von Farnroda nach dem Heiligenstein oder nach Thal geht und etwa die Hälfte des Weges zurückgelegt hat, sieht dicht über dem Thalbach aus Erlen und Gebüsch einen hohen, vielzackigen, gespaltenen Schieferfelsen emporragen. Das ist der Wittgenstein. Von diesem Felsen und der in den Stein gebannten Prinzessin weiss die Volkssage allerlei zu berichten.

Ein Schloss soll vor langen Zeiten auf dem Wittgenstein gestanden und darin ein Ritter mit einer einzigen Tochter gewohnt haben. Das Fräulein sah einen Ritter gern und begehrte ihn zum Gemahl; der Vater aber wollte sie durchaus einem Prinzen vermählen und darüber entstand grosses Herzeleid im Hause. Zuletzt beredete die Prinzessin den Ritter, dass er sie in der Nacht entführen sollte. Der Plan wurde aber dem Vater verrathen; er lauerte dem Ritter auf und erschlug ihn in selbiger Nacht, als er zum Schlosse heranritt und das Fräulein holen wollte. Die Leiche liess er seiner Tochter bringen, welche beim Anblick derselben alsbald vor Schrecken starb. Der erschlagene Ritter liess sich aber fortan jede Nacht auf einem kohlschwarzen Rosse sehen, auf dem er zur Mitternachtsstunde an den Wittgenstein heranritt, das Fräulein aber ging im Schlosse um und durchwanderte alle Räume und Gemächer desselben. Der Vater liess Teufelsbanner kommen und den Ritter auf den Rittersberg bannen, welcher nicht weit vom Wittgenstein liegt. Ihn haben viele Leute auf seinem pechschwarzen Rappen reiten sehen. Das Fräulein aber oder die Prinzessin, wie die Leute sie nennen, ist in den Wittgenstein gebannt. Beide können nun nicht mehr zusammenkommen.

In frühern Zeiten wollen viele Leute jener Gegend die in den Stein gebannte Prinzessin leibhaftig mit ihren Augen gesehen haben und ein Klosterknecht von Weissenborn behauptete, sie sei ihm einmal Abends im Zwielicht erschienen, als er von Fernroda heraufkam. Auch hat es Leute gegeben, die sie am Wittgenstein laut gerufen, geneckt, ja sogar geschimpft haben. Aber gewöhnlich ist es ihnen übel ergangen. Entweder sind sie noch am selbigen Tage mit Steinen geworfen worden, oder haben von unsichtbaren Händen Maulschellen erhalten, dass ihnen die Backen aufschwollen, oder bald darauf ein Bein, einen Arm oder gar den Hals gebrochen oder sonst einen Leibesschaden genommen.

Einmal ist ein Taglöhner aus Fernroda noch ganz spät in der finstern Nacht heimgegangen. Als er unter den Wittgenstein kommt, sieht er an dem steinernen Brückchen, das über den Bach führt, ein Licht brennen. Der Mann war mürrisch, weil er schlechten Verdienst gehabt und ein Mass Bier auf dem Heiligenstein nicht hatte trinken können. Er stiess ärgerlich mit dem Fusse an die brennende Kerze, dass sie ins Wasser fiel und verlöschte. „Licht giebst du mir,“ sprach er dabei, „das brauch' ich aber nicht; Gold giebst du Andern, das könnt' ich besser brauchen. Hab' den Weg wohl hundertmal bei Nacht und Nebel gemacht und kann ihn blind finden.„ Aber bald darauf stürzte er ins Wasser und wie er es auch anfing, immer fiel er wieder in den Bach; er konnte weder Weg noch Steg finden und wäre fast ertrunken. Erst am Morgen kam er müde und durchnässt nach Hause.

Mit dem genannten Brückchen hat es überhaupt seine eigene Bewandtniss. In der dicksten Finsterniss mancher Nächte haben Leute, die sich verspätet hatten, am obern Ende des Stegs ein hellbrennendes Licht stecken gesehen, so dass sie den Weg deutlich erkennen konnten. Andere dagegen, vielleicht gottlose Leute oder denen die Prinzessin nicht gewogen war, sahen weder Licht noch Steg und fielen dann sicher ins Wasser.

Man sagt, die Prinzessin lasse sich alle sieben Jahre sehen und dann zeige sie den Leuten, die ihrer ansichtig werden und sich nicht vor ihr scheuen, allerlei Gutes. Einmal graste des Rasenmüllers Magd unten am Stein. Plötzlich erhebt sie ihre Augen und sieht in der Kluft am obern Ende des Felsens eine ganz seltsam gekleidete bleiche Jungfrau stehen, welche ihr gar freundlich zunickt. Aber die Magd lief aus Furcht davon und liess sogar ihren Grasekorb im Stiche. Als sie nachher in Begleitung eines Mahlknechts wieder hinkam, fand sie den Korb zerrissen und zerfetzt.

Quellen: