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Der geheimnißvolle Saal

An einem schönen Herbstabende 1795 haben die Kinder auf der Straße noch spät allerlei Spiele getrieben und zwar in der Nähe des Rathhauses und in den umliegenden Straßen und engen Gassen; bald Räuber und schwarzer Mann, bald Zeck und Anschlag. Nach und nach sind ihrer denn immer weniger geworden, am längsten ist aber ein kleiner, unschuldiger Knabe geblieben, und schon wollte die Mutter ausgehen, um ihn zu suchen, als er zu Hause kam und gleich ins Bette verlangte.

Am Tage darauf hat er blaß ausgesehen, und als die Mutter nach mancherlei gefragt, hat er erzählt: Gestern Abend spät sei er in einem Hause, wo er sich verstecken wollte, eine Treppe hinauf oder hinab gegangen und an eine Thür gekommen, durch deren Spalte habe ein helles, gelbes Licht heraus geleuchtet. Als er nun durch die Spalte gesehen, hätte er in einen langen, gewölbten Saal mit runder Decke und Wänden von braunem Holze mit goldenen Zierrathen geblickt. An den Wanden umher hätten Tische mit krummen Füßen und eckige Schränke gestanden, ganz besetzt mit prächtigem, blitzendem Geschirr von Krystall, Gold und Silber. In dem langen Saale aber waren Menschen in Mänteln und langen Bärten umher gegangen; als er jedoch diese sonderbaren Leute sich habe ansehen wollen, da habe mit einem Mal ein so entsetzliches und gräuliches Gesicht mit rollenden Augen dicht vor der Ritze gestanden, daß er sich sehr erschreckt habe und nicht wisse wie er zu Hause gekommen sei.

Das arme Kind ist dann immer schwächer geworden, ohne daß ihm eigentlich etwas gefehlt hat, als daß es oft ängstlich schreiend aus dem Schlafe auffuhr, weil ihm das gräuliche Gesicht mit den drohenden Augen im Traume erschien. Dann zitterte und weinte es heftig und war schwer wieder zu beruhigen.

Im Frühling darauf ist der Knabe gestorben. Sein kleines Grab war das erste auf dem neuen Kirchhofe vor dem Teltower Thore, zu dessen Einweihung viele Menschen versammelt waren. Da ist die mit den ersten Frühlingsblumen geschmückte Leiche, unter dem Geläute der fernen Glocken, zum ruhigen Schlaf in die stille Erde eingesenkt worden, während eine singende Lerche darüber immer höher zu dem blauen Himmel aufstieg.

Quelle: Karl v. Reinhard, Sagen und Mährchen aus Potsdams Vorzeit, Potsdam 1841, Verlag der Stuhrschen Buchhandlung