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Das Grab im Neuen Garten

An der Stelle des Marmor-Palais stand vor dem Jahre 1786 ein freundliches zweistöckiges Haus mit einem ziemlich großen Saale, der so genannte Pirschelsche Weinberg, welcher von den Offizieren der Garnison in jeder Jahreszeit häufig besucht wurde, sowohl um dort mit gleich gestimmten Freunden und Cameraden ein erheiterndes und erregendes Gespräch zu führen, als auch um mancherlei Feste zu feiern. Selbst der Kronprinz nahm daran zuweilen Theil, der bald darauf als König Friedrich Wilhelm II., angezogen von der schönen Aussicht, welche hier überall der Blick über den Heiligen See gewährte, diesen Weingarten, nebst noch dreizehn anderen, vom großen Kurfürsten angelegt, erstand, um daraus den freundlichen Park zu bilden, der sich jetzt längs den schon gebogenen Ufern der hellen Wasserfläche hinzieht.

Unter den Officieren, welche diesen Ort zum Ziel ihrer Spaziergänge gewählt hatten, befand sich auch ein junger Freiherr aus einer alten, angesehenen Familie, der, obgleich zuweilen träumerisch und still, doch von Allen gern gesehen wurde. Mehr als es damals Sitte war, beschäftigte er sich mit den Büchern, vor allen aber wurde er von der eben aufblühenden deutschen Poesie angezogen, und Ewald v. Kleist‘s, Gleim‘s und Hagedorn‘s Gedichte begleiteten ihn oft auf seinen einsamen Wanderungen.

Auf einer derselben, an einem schönen Frühlingsabend, zwischen den Gängen der Rebengärten hin, war er an das Weinmeisterhaus gekommen, welches am oberen Ende des Sees, da wo jetzt das grüne Haus erbaut ist, stand. Unter einem dichten, blühenden Kastanienbaum genoß er den reizenden Anblick über den Heiligen See nach der Stadt und dem fernen Brauhausberge, und stand lange versunken in dem Gefühle, welches der stille, duftige Abend in ihm erweckte. Seine Seele nahm die Eindrücke auf wie der Spiegel des stillen Sees, der die Bilder seiner Ufer und Umgebungen, übergossen von der Gluth der sinkenden Sonne, die Wasser und Luft erfüllte, im schöneren Farbenton zurückwarf. Der Glanz des Himmels, an dem leichte, goldgefärbte Wölkchen zogen, strahlte auf das Wasser und umfloß mit seinem Farbenschmelze die Spiegelbilder der reichen Landschaft, und die sehnsüchtigen Töne der Nachtigall sprachen aus, was das Herz des in dem Anblick Versunkenen empfand.

Von dieser Scene aufgeregt, sah der junge Krieger unter den Blüthen des Ufers die Tochter des Weinmeisters. Sie war siebzehn Jahr, schön, unbefangen wie die Unschuld und reich an jeder schönen Empfindung. Der Abend war entscheidend für Beide. Wie zwei Flammen schlugen ihre Gefühle zusammen, und einen schönen, nur zu kurzen Sommer hindurch verlebten sie die ewige Idylle der ersten, wahren Liebe; so alt wie die Welt, und doch im süßen Wahne jedes Glücklichen, den ein gütiges Geschick sie durchleben läßt, einzig und nie vor ihm gewesen, und so reich, daß noch die Bilder ihrer Stunden die letzten Augenblicke derer verklären, welche mit ihnen, von dem sonst so armen Leben scheiden. Die Natur schien mit ihrem Glück im Bunde; selten schmückte die freundlichen Ufer der Havel ein so reicher Frühling, und den Liebenden war jeder seiner Tage ein Fest, das sie der Liebe in dem schönsten der Tempel feierten. Ja sie erklärte sich mit ihren Wundern für seine Dauer; denn als die beiden glücklichen Menschen im Übermuth ihrer Wonne an ihrem Lieblingsplage zwei junge Lindenbäumchen mit den Zweigen in die Erde pflanzten und scherzend an ihr Fortwachsen die Hoffnung ihrer Zukunft knüpften, da schlugen die Zweige Wurzel, und die Wurzeln grünten und trieben kräftige Zweige und Blätter.

Die beiden sonderbaren Linden stehen noch jetzt am Ufer des hellen Sees zwischen dem Marmorpalais und dem rothen Hause, und die Zweige aus ihren Wurzeln sind hoch empor gewachsen und wölben sich blühend zu einer schattigen Laube; sie sind aber nicht das Bild der Zukunft für die gewesen, welche sie gläubig in den Boden senkten. Schon als die Blätter der Bäume sich gelb zu färben anfingen, mußten sie es einsehen, daß die Erde nur kurze Blüthenzeiten hat, und das daß Leben mit seinen Verhältnissen und Formen deren Gesetzen folgt und mit anderen Schranken trennt, als die Liebe, die ihr eigenes Gesetz auf dem Sinai des Herzens empfing.

Zwischen dem grünen Hause und der Meierei läuft der gewundene Weg über eine blumenreiche Wiese, rings von Erlengebüsch und hängenden Weiden umgeben. Die ganze Gegend hat einen wehmüthig freundlichen Charakter, ja selbst die fernen jenseitigen, mit dunklen Kiefern bewachsenen Ufer der Havel, sehen ernst über das selten bewegte Wasser her. In der Mitte dieser Wiese erhebt sich gleich einem Hünengrabe ein Hügel, aus welchem zwei Eichen emporwachsen, die ihre Äste und Zweige fest in einander winden. Der Hügel deckt die Liebenden, die dem Leben entsagten, weil sie sich nicht lassen wollten; der Tod war ihnen süß, denn er fand sie vereinigt.

In einer rauhen Herbstnacht, wo der Sturm die welken Blätter über den kahlen Boden und die grauen Wolken über den bleichen Mond trieb; bargen die Freunde heimlich die starren, entseelten Hüllen unter der kalten Erde und pflanzten die Eichen auf den Hügel. Ein anderes Doppelgrab birgt sich unter den Kiefernschatten an den Ufern des Stolpeschen Sees. Es ist der Hügel, unter welchem Heinrich von Kleist, der Dichter des Kätchen von Heilbron, des Prinzen von Homburg, der Herrmannsschlacht u. f. w., die Ruhe fand, die er durch ein vielbewegtes, unbefriedigtes Leben vergebens suchte.

Abwechselnd. Soldat, Beamter und ohne Anstellung nährte er eine angeborene Schwermuth und lebte in seinen Träumen und den Schöpfungen seiner reichen Phantasie, besonders während und nach seiner Gefangenschaft in Frankreich. Mit neuer Hoffnung und reichen Planen erfüllte ihn der Ausbruch des Krieges 1809 gegen die Franzosen, aber der schnelle Frieden zerstörte alle seine Aussichten. Gebrochen und ohne Hoffnung für sich und sein Vaterland, kehrte er aus Oestreich nach Berlin zurück und endete den 21sten November 1811 am Stolpeschen See durch einen freiwilligen Tod sein Leben; mit ihm seine kranke Freundin, Adolphine Vogel, die Frau eines Kaufmanns zu Berlin.

Seinem Geiste genügte das Erdenleben nicht und das Jenseits ward ihm nicht von der Sonne des Glaubens erleuchtet. Eine unbezwingliche Sehnsucht das Räthsel des Daseins zu lösen, verleitete ihn ungerufen den Schleier zu heben, der doch nur die Brücke verhüllt, welche einen Abschnitt des Pfades mit einem anderen verbindet, auf dem der Geist durch Kampf und Streben weiter zu Licht und Wahrheit geführt wird. Lange schon hatte er nach einem Gefährten gesucht, bei dieser feigsten Handlung, die so oft dem Wahn und der Schwache als groß und nothwendig erscheint.

Folgt man von dem Damm bei der Friedrich-Wilhelms-Brücke aus, an der Ostseite des Sees, dem wohlerhaltenen Pfade längs den bebuschten, freundlichen Ufern, so erreicht man bald das einsame Grab auf welches nur die späte Abendsonne ihre Strahlen durch die tief herabhängenden, düsteren Zweige senden kann.

Quelle: Karl v. Reinhard, Sagen und Mährchen aus Potsdams Vorzeit, Potsdam 1841, Verlag der Stuhrschen Buchhandlung