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Der alte Jäger

In dem halbverfallenen einsamen Plantagenhause im Walde an der Saarmunder Straße hat lange Zeit ein alter Heideläufer von kleiner schmächtiger Gestalt gelebt, der wegen seines schweigenden, ernsten Wesens und seiner im Winter und Sommer sich immer gleich bleibenden, durch Schnee und Sonne verblichenen grünen Tracht, so wie durch sein fast kahles Haupt und die scharfen, tief eingegrabenen Züge eines Gesichts Jedermann auffiel. Holzdiebe und Wildschützen fürchteten ihn sehr.

Überall trat er diesen in den Weg, und wohl bekannt war es, daß mehr als einer, der sich dem Alten widersetzte, sein Leben eingebüßt hatte. Der Glaube, daß derselbe an mehreren Orten zugleich im Walde sein könne, war allgemein verbreitet, und schien durch unwiderlegliche Beispiele bewiesen. Mag dem nun aber sein wie ihm wolle, jedem war es unheimlich in der Heide, wenn er unvermuthet den Alten mit leisem und doch festem Tritte aus dem Dickicht auf sich zukommen sah; der ihn dann mit den kleinen, durchdringenden Augen so fest und forschend ansah, die schon so manches Jahr eben so fest in die Sonne und den Sturm geblickt hatten.

Der sonderbare Jäger sprach nur wenig, kam überhaupt nur im Dienst mit anderen Menschen zusammen, wurde jedoch oft in seiner Einsamkeit aufgesucht und bei bösartigen Wunden, Krämpfen und dergleichen um Rath angegangen, den er dann kurz und barsch ertheilte. Nur wenn bei großen Jagden der Feldflasche fleißig zugesprochen wurde, konnte er redselig werden, und erzählte dann in seiner fremdartigen Mundart gar mancherlei seltsame und fast wunderbare Geschichten aus seinem Waldleben.

Bald waren dies Erzählungen von gefährlichen Wolfsjagden, die er früher beim Ravensberge mitgemacht, von der fast menschlichen Klugheit der Fischottern in den Kolken der Nuthe, oder der Wuth angeschossener Keiler, bald von mächtigen Seeadlern, die ihre Fänge in große Hechte und Störe eingeschlagen hatten und mit ihnen gefangen waren. Aber auch seltsame Abenteuer hatte er erlebt mit Füchsen, auf die jedes Gewehr versagte und deren Fährte kein Hund folgte; stattliche Hirsche schienen unverwundbar durch jede Kugel gewesen zu sein, und die wilde Jagd mit ihrem unheimlichen Rauschen, Bellen und Rufen hatte er oft in der finstern Nacht über seinen Kopf dahin ziehen hören. Wohl schienen viele dieser Erzählungen unglaublich; doch wenn die Zuhörer den alten, ernsten Jäger vor sich sahen, der so einfach von den sonderbaren Erlebnissen sprach, da verschwand nach und nach jeder Zweifel, und - war es denn weniger wunderbar, daß derselbe nie auf ein Wild vorbei schoß, daß sein Gewehr so sehr weit trug und daß jedes Thier sterben mußte, wenn auch nur ein Schrotkorn dasselbe getroffen; weniger wunderbar, daß derselbe nie krank wurde, fast niemals schlief, ohne einzusinken über die tiefsten Moore ging, und daß kein Wild seine Nähe witterte, sowie auch der wachsamste Hund gegen ihn nicht anschlug.

Ein Abenteuer, das er erlebt, schien ihm aber selbst ungewöhnlich zu sein; denn nur, wenn er dieses erwähnte, versicherte er, was er sonst niemals that, dessen Wahrheit. Dies pflegte er so zu erzählen: In der Mainacht, kurz vor Mitternacht, wollte ich Wilddieben nachgehen. Mein Weg führte längs den Nuthewiesen hin. Die Nacht war dunkel, der Himmel von Abend her mit langen grauen Wolkenstreifen bezogen, die für den andern Tag Sturm ansagten. Noch regte sich kein Blatt. Der Regenvogel pfiff in langen Pausen, und zuweilen hörte man das dumpfe Gurgeln der Rohrdommel von der Nuthe oder den gellen Ruf des Käuzchens aus dem hohen Holze. Da zog es mit einem Male vom Brauhausberge her schwer und rauschend durch die Luft, eben als ich aus dem Felde auf den Exercierplatz gekommen war. Gleich darauf sah ich schräg über mir große, dunkle Fleden hinziehen, einer hinter dem andern. So hatte ich keinen Vogel je fliegen hören. Ich legte die Büchse an und schoß auf gut Glück hinauf. In dem Augenblick stürzt es zwanzig Schritt von mir mit hartem Fall auf die Erde, als ich aber zuspringe, ist Nichts zu sehen, aber ich höre Etwas über das Feld laufen nach den Mühlen zu, so wie ein Mensch hinkt. Ich machte mir nun ein Zeichen und ging, als es hell war, wieder auf die Stelle, fand aber Nichts als Splittern von einem Besenstiel und ein Geflecht von verblühten Pflanzen mit langen, grauen Samenfedern, einem Daunenball ähnlich. Es gibt keine Hexen, aber sollte man nicht meinen, das wären welche gewesen, die vom Walpurgisfest auf den Blocksberge zurück kamen?

Wer weiß, was der alte Heideläufer da gesehen hat. Sonderbar aber ist es, daß auf dem Exercierplatz an der Stelle seit jener Zeit die Brocken-Anemone, bekannt unter dem Namen Hexenbart, wachse, die sonst nirgend in dieser Gegend zu finden ist. 1)

Der Alte ist später seines Dienstes mit einem Gnadengehalt entlassen worden und muß schon lange todt sein; doch wollen ihn die Holzhauer und Beerensucher noch immer im Zwielicht am Rabensberge gesehen haben.

Quelle: Karl v. Reinhard, Sagen und Mährchen aus Potsdams Vorzeit, Potsdam 1841, Verlag der Stuhrschen Buchhandlung


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Hic error est, e permutatione Pulsatillae alpinae cum, Pulsatilla pratensi ortus