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Der Schimmel auf dem Wall

König Friedrich Wilhelm I. hatte auf dem linken Ufer der Havel, von der Mündung der Nuthe bis zur Mitte der langen Brücke, einen breiten und tiefen Graben ziehen und längs desselben einen Damm aufwerfen lassen, der an seinem oberen Ende durch eine hölzerne Brücke mit dem Kirchhofe der Heiligengeistkirche verbunden war. Dieser Graben, der im Winter durch die Fischer vom Eise frei erhalten werden mußte, und der jetzt zum Kanal für die Schifffahrt erweitert ist, sollte das Desertiren der geworbenen Soldaten aus der Stadt erschweren. Zu gleichem Zweck war dieselbe im Osten, Norden und Westen mit einer wohl bewachten hohen Mauer umgeben, und längs dem Kiez an der Havel erstreckte sich eine dichte Reihe von Palisaden.

Ehe dieser Wall aufgeworfen war, auf welchem Tag und Nacht Posten standen und Patrouillen gingen, hatten die Deserteure oft versucht, die Havel zu durchschwimmen; bald war von ihnen der nahe, dichte Wald erreicht, und oft waren sie schon über die damals nur wenige Stunden entfernte sächsische Grenze, bevor ihre Abwesenheit bemerkt, die Lärmkanonen die Umgegend zur Aufmerksamkeit aufgefordert und die stets bereiten Cavallerie-Piquets aus allen Thoren gerückt waren, um so schnell wie möglich alle Pässe und Brücken zu besetzen. In dieser Zeit war der Predigersohn aus Baruth in ein Werbehaus gelockt worden. Berauscht hatte man ihm Handgeld aufgedrungen, und als er am andern Morgen aus seiner Betäubung erwachte, war er Recrut und wurde noch an demselben Tage in Potsdam abgeliefert. Hier erwartete ihn ein hartes, trauriges Leben, und oft war er im Begriff, seine Leiden durch einen Selbstmord zu enden, immer aber hatte ihn noch die Hoffnung davon abgehalten, daß er Gelegenheit finden würde zu fliehen und so zu den geliebten, trauernden Eltern zurück zu kommen. Manche Pläne hatte er entworfen, mancherlei wurde mit seinen Unglücksgefährten, wenn sie sich unbehorcht glaubten, besprochen, doch schreckte ihn, den Versuch zu wagen, die Furcht vor der grausamen Strafe ab, welche er so oft an den wieder eingebrachten Flüchtlingen mußte vollstrecken sehen.

So war er zwei Jahr Soldat gewesen, und immer unerträglicher ward ihm sein Zustand. Da er aber still und gehorsam war, auch nie trank und spielte, waren ihm seine Vorgesetzten gut und fingen an, ihn weniger streng zu bewachen. Da machte er den Plan, er wolle in der nächsten Nacht vom Sonntag zum Montag, wo kein Mondschein war und wo er die Stallwache hatte, durch die Havel schwimmen, leise zwischen den Posten auf dem Wall hindurch kriechen und dann längs dem Ufer der Nuthe fortzukommen suchen, oder sich im Schilf bis zur nächsten Nacht verbergen. Herzlich und brünstig betete er am Sonntag Morgen in der Kirche und dachte den ganzen Tag an seine lieben Eltern, um seine Gedanken von den möglichen Folgen seines gewagten Unternehmens abzuwenden.

Um Abend hatten seine Cameraden reichlich gezecht, und die Wachmannschaft im Stalle war unaufmerksam und schläfrig. Eine Stunde nach Mitternacht kniete er noch einmal nieder, konnte aber nicht beten, sein Herz pochte so laut, daß er fürchtete, man möge es hören; dann streichelte er noch zum Abschied seinen Schimmel, den er sehr liebte und der auch ihm sehr zugethan war, und schlich sich hinaus in die dunkle Nacht.

Glücklich kam er durch die öden Straßen, unhörbar schwamm er über den Strom, und schon hatte er das andere Ufer erreicht, als er hinter sich laut plätschern und schnauben hörte. Werda! erscholl der Ruf der Wachen, ängstlich barg er sich auf dem Boden, aber immer näher rauschte es hinter ihm, und von beiden Seiten hörte er die Tritte der Kommenden. Da hob sich eine weiße Gestalt, sich schüttelnd, aus dem Wasser, und der arme Flüchtling erkannte seinen Schimmel, der sich losgerissen hatte und ihm nachgesschwommen war. Eilig lief er über die Wiese und den Wall, der Schimmel dicht hinter ihm. Weil aber auf das wiederholte Anrufen die Wache keine Antwort erhielt, so gab sie von allen Seiten Feuer, und bald stürzten Mann und Pferd von den Schüssen durchbohrt.

Seit jener Nacht sind die Posten auf dem Wall nach Mitternacht, wenn kein Mondschein war, oft durch ein Plätschern im Wasser erschreckt worden; dann sahen sie einen Schimmel über die Wiese hin und her laufen, ohne daß man seinen Hufschlag vernehmen konnte. Viele, die den Spuk recht nahe bei sich gesehen, versichern, der Schimmel habe keinen Kopf gehabt.

Quelle: Karl v. Reinhard, Sagen und Mährchen aus Potsdams Vorzeit, Potsdam 1841, Verlag der Stuhrschen Buchhandlung