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Liefelds Grund

Zwischen dem Brauhaus- und Ravensberge zieht sich dicht vom Wege nach Langerwisch bis zur Havel beim Tornow ein tiefer Thaleinschnitt hinunter, der früher von mächtigen Kiefern überwachsen und durch Brombeerranken und Gestrüpp mancherlei Art versteckt und unwegsam gemacht war; hier soll einst die Raubhöhle des Peter Dönges gewesen sein.

Jene Gegend war früher wenig besucht, und nur selten zog ein Wanderer die unwirthliche Straße, welche durch den viele Meilen sich ausdehnenden Wald führte, ängstlich besorgt, von seinen Räubern oder Raubthieren angefallen zu werden. Die große Landstraße, die bei Wittenberg über die Elbe ins nördliche Deutschland führte, theilte sich bald; der eine Arm ging bei der festen Burg Rabenstein vorbei, längs der Plane auf Brandenburg, der andere über Treuenbriezen und dem Hauptzollort Saarmund auf Berlin. Potsdam war noch zu unbedeutend und der Weg über die Havelarme und Brücher zu beschwerlich und unsicher, als daß eine Handelsstraße nach dieser Gegend Bedürfniß geworden wäre..

Die großen Wälder zwischen den bezeichneten Hauptstraßen sind von jeher Aufenthalt von Räubern gewesen, die von hier aus das Land weit und breit unsicher machten, und sowohl in der Unzugänglichkeit des Bodens, als durch die sich mannichfaltig durchkreuzenden Landesgrenzen Sicherheit und Schuß fanden. Als späterhin Herren und Städte zur Ausrottung dieses Raubgesindels sich vereinigten, wurden zwar die zahlreichen Banden zerstreut, aber lange noch hausten einzelne solches Gelichters in den alten Schlupfwinkeln. Unter diesen hat sich Peter Dönges ganz besonders durch List und Grausamkeit ausgezeichnet, und viele gräßliche Thaten und schlaue Räubereien werden noch jetzt von ihm erzählt…

Seine Mutter, die rothe Hanne, wahrsagte in Potsdam; da man sie aber einmal auf einen Diebstahl ertappte, wurde sie gestäupt und mußte am Pranger stehen. Darüber ergrimmte sie so im Herzen, daß sie mit ihrem Sohne in den Wald floh, und diesen von jung auf zu ihrem Rächer erzog. Der Dönges ist auch ein guter Schüler gewesen, denn bald ward weit und breit fein Namen mit Schrecken genannt.

In Liefeldsgrund hatten sich die Beiden eine Höhle in den Boden gegraben und mit Baumstämmen, Rasen und Moos überdeckt; so daß sie nicht zu sehen und schwer zu finden war. Hier hierher schleppte der unglückliche Sohn die Beute seiner Raubgänge. An allen Wegen waren im Dickicht Höhlen angelegt, in welchen sich Peter des Nachts verbarg, und in deren Nähe er eine Schnur über den Weg gezogen hatte, welche an einer Glocke in der Höhle befestigt war. Zog dann ein Wagen oder ein Wanderer vorüber, so läutete die Glocke, und bis dahin konnte er ruhig schlafen. Dann aber machte er sich leise heraus, schlich seiner Beute nach, und war ihm diese gewiß und der Kampf nicht zu ungleich, so brachte er den unglücklichen rücklings die sichere Todeswunde bei. Waren der Reisenden aber zu viele, so ließ er sie entweder ruhig ziehen oder erschoß sie einzeln, wenn dies irgend die Umstände gestatteten; dann aber war sein Hauptaugenmerk, daß nicht einer davon kam, das mit die That so wenig wie möglich ruchbar wurde.

Aus diesem Grunde verbarg er auch mit Hülfe seiner Mutter die Erschlagenen sorgfältig, die er gewöhnlich in das sogenannte Teufelsmoor am jebigen Fahrwege nach Drewitz versenkte, und verbrannte alles Geräth, so wie die Kleidungen und was sonst leicht wieder zu erkennen oder von geringem Werthe war. Von früh an hatte die Mutter ihm eingeprägt, nie durch Bitten sich erweichen zu lassen und einem Angefallenen das Leben zu schenken; denn diese, warnte sie, sind die gefährlichsten Verräther und erzählen immer wieder von den überstandenen Gefahren. Dönges war eigentlich von Natur nicht eben grausam, und es bedurfte der beständigen Einwirkung der Mutter, um nach und nach sein Gefühl abzustumpfen, bis er endlich mit Wohlgefallen sein blutiges Geschäft vollbrachte.

Eines Tages stand Dönges auf der Lauer am Wege von Brück nach Potsdam; es war sehr heiß und kein Wanderer zog die Straße. Endlich spät am Nachmittage kam ein lustiger Schneidergesell daher, den Dönges zu einer anderen Zeit wohl ruhig hätte vorüber gehen lassen, da bei demselben wenig Beute zu erwarten stand; heute aber, verdrießlich durch das lange Warten, trat er vorspannte die Büchse und gebot dem armen Burschen sein letztes Gebet zu thun. Der erschreckte Schneider fiel auf die Knie und bat gar herzerweichend um sein Leben, indem er dem Räuber vorstellte, wie er heute nach langen sieben Wanderjahren zu seiner Mutter nach Potsdam zurück zu kommen gehofft. Das erbarmte Dönges und er versprach dem zitternden Schneider das Leben, wenn er ohne alle Bekleidung an der hohen, schlanken Eiche hinauf klettern würde, unter welcher sie eben standen. Der arme Bursche war ein schlechter Kletterer, doch machte er sich schnell ans Werk, und obgleich das Blut an der rauhen scharfen Rinde herabrieselte, gelangte er doch, wenn auch ganz zerfekt und geschunden, in den Wipfel des Baums. Peter Dönges wollte sich unten todt lachen über die Grimassen und Windungen des armen Schneiders; dann aber kehrte er sich ab, um nach Hause zu gehen.

Indem kam seine Mutter und fragte ihn, warum er so lache; da zeigte er ihr den zerrissenen Schneider oben auf der Eiche und erzählte ihr die Bedingung, unter welcher er demselben das Leben geschenkt. Die Alte aber drohte ihm warnend mit dem dürren Finger und sagte: „Peter, Peter, schlah de Eyer in de Panne, eh de Küken ruter krugt.“ Da nahm Dönges die Büchse an den Kopf und schoß den Schneider herunter. Besonders war die Mutter besorgt gewesen, ihren folgsamen Sohn von jeder Verbindung mit dem anderen Geschlecht abzuhalten, und lange Zeit war ihr dies nach Wunsch geglückt. Eines Morgens aber war demselben ein Fischermädchen aus Neuendorf begegnet, welches Netzgarn nach Saarmund trug; dies fand er so schön, daß er sie an sprach und eine lange Strecke mit ihr ging. Zu wiederholten Malen blieb er einen Schritt hinter dem Mädchen zurück und zückte das Messer, aber er konnte den Stoß nicht vollführen. Erst dicht vor der Stadt am Eichberge verließ er sie. Bei ihrer Rückkehr am Nachmittage aber überfiel er sie im Dickicht, verband ihr den Mund und die Augen, und brachte sie auf vielen Umwegen zu seiner Höhle in Liefeldsgrund.

Da wurde die Mutter sehr böse und verlangte, er solle das Mädchen augenblicklich tödten; Peter aber bestand fest auf seinen Willen, das Mädchen solle seine Frau sein, so daß die Alte endlich nachgeben mußte, weil Peter drohte, die Mutter zu verlassen und in die weite Welt zu gehen, wenn sie das Mädchen nicht freundlich aufnehmen oder ihm später irgend ein Leid zufügen würde. Da nahm die Alte dem Mädchen einen furchtbaren Schwur ab, daß sie den Räuber nicht verrathen, ja nie und nimmermehr auch nur von ihm sprechen wolle zu irgend einer lebenden Kreatur. Darauf verschwor sich das arme Mädchen aus Liebe zum Leben bei ihrer und ihrer Eltern Seligkeit.

In der Höhle lebte nun das beklagenswerthe Geschöpf lange Jahre. In der ersten Zeit blieb immer Einer bei ihr zurück; später richtete Dönges die Thür so ein, daß sie von innen nur mittelst einer großen Kraft aufgemacht werden konnte, was das zarte Frauenzimmer nicht vermochte. Anfangs weinte sie Tag und Nacht, endlich fand sie sich in ihr Schicksal. Die Alte aber blieb ihr im Innersten ihres Herzens zuwieder. Als sie Mutter geworden war, nahm jene ihr das Kind und sagte, sie bringe es nach der Stadt zu einer Amme. Da hing sie dem Kinde einen ihrer Pathenpfennige um und weinte wieder lange Zeit.

So geschah es dreimal, und jedesmal ward der Zank zwischen Sohn und Mutter heftiger; aber die Alte wußte es doch dahin zu bringen, daß sie das neugeborne Kind zur Amme in die Stadt forttragen konnte, wo es, wie sie sagte, die Kinder recht gut hätten. Peter aber wurde immer unwilliger und mürrischer gegen die Mutter; das verdroß diese sehr, und im vierten Jahre, nachdem er das Mädchen in die Höhle gebracht, starb jene.

Da ließ sich Dönges von seiner Gefangenen den Eid erneuen und zu gleicher Zeit schwören, daß sie ihn nie verlassen wolle; dann schickte er sie in die Dörfer, um Lebensmittel einzukaufen, was sonst die Mutter gethan hatte, und da der Schwur ihr heilig war, kam sie immer getreulich wieder, besorgte auch alles in der wilden Wirthschaft wie eine gute Hausfrau. Eines Tages war sie den Grund hinaufgegangen, um frisches Moos zu holen, da sah sie drei gleich große Steine in einer Reihe wie Grabsteine liegen. Ihr Herz fing heftig an zu pochen, sie zitterte an allen Gliedern, und ohne daß ihr jemand etwas gesagt, wußte sie, was diese Steine bedeckten. Ängstlich route sie einen derselben aus seiner Stelle; das Mutterherz hatte sie nicht getäuscht, sie stand an der Grabesstätte ihrer Kinder.

Als Dönges sie wieder ausschickte um einzukaufen, verließ sie den vorgeschriebenen Weg und ging nach Potsdam. Als sie ans Thor kam, war ihr gar ängstlich; sie glaubte, alle Menschen sähen sie an und die Häuser wollten sie erdrücken; da ging sie in die Kirche und betete lange Zeit, und immer, wenn sie heraustreten wollte, kehrte sie wieder um.

Endlich, als es anfing Abend zu werden, ging sie zur Schloßwache. Dort stand ein Pfeiler mit einer Fahne, diesem erzählte sie Alles, sagte ihm, wie sie es nicht mehr aushalten könne bei dem Mörder ihrer Kinder, daß sie heut Abend beim Zurückgehen zur Höhle Mehl auf den Weg streuen würde, weil man diese sonst nicht auffinden könne, und daß, wenn man Peter Dönges fangen wollte, morgen nach dem Mittagsessen, wenn er schliefe, dazu die beste Zeit sei. Neben dem Fahnenpfeiler stand aber die Wache, und diese hörte, was das Frauenzimmer demselben erzählte.

Den andern Tag ward eine starke Mannschaft hinausgeschickt, welche der Mehlspur bis zu Liesfeldsgrund folgte. Hier verlor sich diese an einen flachen Mooshügel, wie er von dem Frauenzimmer beschrieben worden. Als man nun diesen umstellt hatte, mußten die Soldaten noch lange nach dem Eingange der Höhle suchen, und erst nach einem heftigen Kampfe mit dem Räuber fiel dieser in ihre Hände. Da hat sich denn die ganze Gegend gefreut, daß sie von dem grausamen Mörder befreit wurde; über diesen aber ist der Stab gebrochen und er ist dem Henker übergeben, der ihn auf dem Gerichtsplatz unweit der Havel vor dem Brandenburger Thor lebendig verbrannt hat.

Quelle: Karl v. Reinhard, Sagen und Mährchen aus Potsdams Vorzeit, Potsdam 1841, Verlag der Stuhrschen Buchhandlung