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Der große Brand

Es war im Jahre 1550. – Nachdem es mehrere Tage anhaltend geschneit, hellte sich der Himmel auf; ein scharfer, trockner Wind kam aus Osten, und bald war die Oberfläche der Havel mit spiegelglattem Eise bedeckt, auf welchem die gefiederten Reifbüschel wie alabasterne Gräser und Blätter zerstreut lagen. Die rothe, strahlenlose Sonnenscheibe hatte sich kaum über die wallende Dampfschicht erhoben, welche aus der noch offnen Stelle des Wassers emporstieg, da wo jetzt die Baumgartenbrücke sich befindet, und die sich in jedem Augenblick neu bildenden Eisschollen trieben knitternd an die Wände der schwerfälligen Fähre, welche bei Alt Geltow den Übergang über die Havel bildete. Die Fährleute wollten eben mit den eisbedeckten Stangen das breite Fahrzeug, in welchem sich ein mit klingenden Schellen und Federbüscheln bedecktes Schlittengespann befand, vom jenseitigen Ufer abstoßen, als sie von zwei Reitern angerufen wurden, die von Brandenburg her sich der Fähre in raschem Trabe näherten, um noch mit übergesetzt zu werden. Rasch sprang die hohe, in dichtem Wolfspelz gehüllte Gestalt eines Ritters vom dampfenden Pferde und trat, sich höflich gegen den Eigenthümer des Schlittens wegen des verursachten Verzuges entschuldigend, in die Fähre. Dieser, ein ehrwürdiger Herr vom Rathe zu Potsdam, der mit seiner siebzehnjährigen Tochter von einer kleinen Reise heimkehrte, erwiederte freundlich den Gruß des Fremden, und es entspann sich zwischen ihnen bei der langsamen Überfahrt ein Gespräch; während dessen die großen dunklen Augen des Ritters unverwandt auf dem feinen, durchsichtigen, von der Kälte in frischer Róthe gefärbten Gesicht des Mädchens ruhten, das mit seinem unbefangenen, sittsamen Blick, wie ein selten schönes Bild, aus der schwarzen Pelzkappe hervorleuchtete.

Die Fähre traf wider den Willen der Führer mit ihrer Seite ans Ufer, und die Schlittenpferde, durch den Stoß erschreckt, drängten nach vorn. Der Rathsherr, der ihnen wehren, zugleich aber auch seine Tochter sichern wollte, ward von den schnaubenden Thieren über den niedrigen Bord gedrängt und sank augenblicklich unter die treibenden Schollen. Der Ritter hatte sich zurück zu seinen auch unruhig gewordenen Pferden gewandt, so wie er aber den Schreckensruf des Mädchens hörte, und das schwarze Barett untertauchen sah, war schnell von ihm die Wildschur abgeworfen, und bald trug sein kräftiger Arm den erstarrten Alten auf den Schnee des Ufers.

Nur noch auf den Nordseiten des Babels – und Brauhausberges lagen einzelne Schneemassen an den braunen Abhängen. Auf der Havel trieben die morschen Schollen, und die tieferen Stellen in den Wiesen der Nuthe fingen an grün zu erscheinen. Da saß der alte Rathsherr zum ersten Male wieder auf seinem Sessel außer dem Bette und schaute durch die kleinen Fensterscheiben mit freudigem Blick über Fluß und Wiesen. Vor ihm auf dem Teppich kniete die glückliche Gertrud, trieb tausend Kurzweil unter stillem Lächeln, und konnte doch der Thränen nicht wehren, die immer wieder die schönen blauen Augen füllten, wenn sie der Gefahr und der bösen Krankheit gedachte, wodurch ihr der zärtlich geliebte Vater so gar leicht hätte entrissen werden können, dem sie, die Mutterlose, nun noch lange alle ihre Sorge und Pflege zuzuwenden hoffen durfte.

Da klopfte es an die Thür; und die hohe Gestalt des Ritters trat herein, der seine Glückwünsche gegen den herzlichen Dank des Vaters und der Tochter austauschte. Der Ritter war bis jetzt in der kleinen Herberge der Stadt geblieben und hatte Gertrud, die das Bett des Kranken nicht verließ, nur an demselben wiedergesehen, wenn er dem von einem heftigen Fieber Befallenen den heilsamen Trank brachte, welchen er zu bereiten verstand, und der so sichtlich wirkte, daß Gertrud ihm zum zweiten Male die Erhaltung des Vaters danken zu müssen glaubte. Nun aber, wo dieser sich rasch erholte, folgte Herr Hug gern der Einladung desselben, und wenn die beiden Männer im ernsten Gespräche über die mannichfachsten Gegenstände und Begebnisse neben einander saßen, dann lauschte das liebe Mädchen aufmerksam von ihrem Platze in der Nische des Fensters auf die Rede, und oft färbten sich ihre Wangen mit höherem Roth durch die lebhafte Theilnahme an den neuen und anziehenden Gegenständen.

Dem weit gereisten Ritter mit dem bleichen, fast finstern Gesichte schien kein Gebiet des Wissens fremd zu sein, und seine Worte däuchten dem horchenden Mädchen bald wie leuchtende Blitze, die ihr eine neue Welt aufschlossen, bald wie reizende Bilder und glänzende Blumen, zwischen welchen sie einer nie geahneten Erkenntniß zugeführt würde. Zuweilen aber schreckte sie zusammen bei seiner Rede, und ihr Gefühl schien die Theilnahme einzuziehen, wie der Schmetterling seine Fühlhörner; fragte sie sich aber um die Ursache dieser Erscheinung, so wußte sie sich keines der Worte zu wiederholen, wodurch sie bewirkt war, und der Sinn dessen, was gesprochen, war so tief oder vieldeutig, daß sie ihn nicht festhalten konnte. Wendete jedoch der Ritter im Gespräch mit dem Vater die leuchtenden Augen auf sie, dann erhielt sein Ton einen andern Ausdruck, und sie fühlte, daß seine Worte auch noch einen anderen Sinn hätten einen ganz anderen, der gar nicht hinein passe in das Gespräch, und nur in ihrem Herzen einen gehörten Klängen sprach.

Der Ritter, der nach seiner Erzählung auf Briefe aus Preußen harrte, ward dem alten Rathsherrn immer lieber und unentbehrlicher, und als die Zweige der Bäume sich mit Blüthen bedeckten, verstand auch Gertrud die Sprache seiner Augen, und den Druck seiner Hand. Ein freundlicher Frühlingshimmel deckte sich über ihr Leben, und wie die Knospen sich um sie her entfalteten, so brachen auch in ihrem Herzen immer neue Blüthenkelche auf, über deren Fülle und Reichthum sie selbst erstaunte.

Gern und unbefangen gab sich das junge Mädchen dem Einflusse hin, welchen Ritter Hug täglich mehr über sie gewann. Ja selbst körperlich schien derselbe auf sie zu wirken. Der Blick seiner Augen, der ihren Nacken traf, ohne daß sie die Anwesenheit des Ritters ahnete, veranlaßte sie, sich umzuschauen; sie wußte seine Gegenwart, ohne daß sie dieselbe durch ihre Sinne wahrnahm. Berührte Hug ihr Gewand oder gar ihre Hand, dann schauerte durch ihren ganzen Körper ein Gefühl, das sie zwang, ihr Denken und Wollen widerstandslos der Macht hinzugeben, die sie an den Blick des Mannes fesselte, wie den Vogel an den der Schlange. Ihr ganzes Wesen war verändert. Wachen und Träumen war mit einer Fülle von Glück und namenloser Wonne ausgefüllt, die alles, was ihr geschah, was sie vernahm und dachte, in sich aufnahm, veredelte und in immer neue Knospen und Blüthen des Gefühles treiben ließ. Wer könnte sie schildern, die süße Zwiesprache, die Gertrud, kaum sich selbst belauschend, mit ihren Träumen und ihrer Sehnsucht hielt; wer die Seligkeit fassen, die ihre Brust füllte, wenn sie, die Wirklichkeit vergessend, auf der kleinen glückseligen Insel ihres Herzens mit allen ihren Gedanken und Empfindungen landete? Dem Vater blieb der Zustand seiner Tochter verborgen. - Er hielt für Dankbarkeit, was Liebe war. Er wußte nicht, daß in dem Herzen der Unschuld jedes edle Gefühl so leicht sich in Liebe verwandelt, und das fast strenge Wesen des nicht mehr jungen Mannes ließ in ihm keinen Argwohn aufkommen.

Als aber, umwugt von den Düften des Mai, unter den langen, sehnsüchtigen Tönen der Nachtigal Gertrud zuerst an die Brust des Ritters sank, und in seinem Kusse jedes Gefühl sich zu verkörpern schien, da wollte sie zu dem geliebten Vater eilen und ihn zum Zeugen ihres Glückes machen; Hug aber hielt sie davon zurück, und wußte auch später seinen Einfluß auf sie dazu anzuwenden, selbst dem Vater zu verbergen, was sie gern hätte laut hinaus jubeln mögen in die blühende Welt.

Nach diesem Abende sah Gertrud den Ritter oft in dem kleinen Gärtchen an der Havel, später auch in ihrem Gemach. Aber nach dem Silberblick ihres Lebens ward ihr Glück nicht größer, wenn auch ihre Liebe nicht abnahm. Doch das Wesen Hug's wurde anders, wenn schon sie sich die Veränderung desselben nicht deutlich machen konnte. Aber sie fühlte wohl, daß nicht mehr jedes seiner Worte für sie gesprochen sei; ja oft schien es ihr, als sei sie sein Eigenthum, er aber nicht das ihre, und seine Liebe sei nur groß in ihren Ansprüchen.

Es giebt ein Weh des Herzens, das sich von einem bestimmten Kummer dadurch unterscheidet, daß es aus einer Mischung von Leid und Freude zusammengesetzt ist, die das Wort vergeblich auszudrücken strebt, und Gott scheint uns die Thränen eben für dies halbverstandene Gefühl gegeben zu haben, die uns dann ein süßes Bedürfniß sind. Gertrud fühlte dies Weh, und oft flossen die bittersüßen Thränen.

In dieser Zeit wurde Gertrud krank, und der Ritter übernahm es, das bösartige Fieber zu heilen. Mehr aber als Tropfen und Pulver wirkten auf die Kranke — welche besonders über Schlaflosigkeit und Schmerzen im Kopf klagte - das Bestreichen mit den Fingerspitzen, das durch Hug langsam und anhaltend in bestimmten Kreisen geschah, worauf sie einschlief und auf einige Zeit ohne Schmerzen blieb. Während dieses Schlafes saß der Ritter vor ihrem Bette, den Blick unverwandt auf ihre halbgeschlossenen Augen gerichtet. Oft versuchte dann die Kranke im Schlafe zu sprechen, schnell aber bestrich sie Hug in entgegengesetzter Richtung, worauf sie augenblicklich erwachte.

Nach ihrer Genesung war eine auffallende Veränderung mit Gertrud eingetreten. Das heitere, glückliche Mädchen war ernst und ihre Stimmung fast wehmüthig geworden; auch blieb ihr noch immer ein Schmerz in der linken Schläfe, der jedoch gleich aufhörte, sobald Hug feine Hand auf dieselbe legte. Auch ihr Verhältniß zu dem Geliebten schien anders geworden zu sein. Zwar hing sie an demselben mit immer gleicher, inniger Zärtlichkeit, aber diese erschien demüthiger und entsagender, ja oft scheu und furchtsam.

Nachtheilig auf ihren Zustand schienen ihre Träume zu wirken, und es wollte Hug nicht gelingen, ihren Schlaf ruhiger zu machen, wenn auch die unbekannten Körper, welche sie auf ihrer Brust tragen mußte, dazu beitrugen, denselben zu verlängern. Was aber dem Ritter besonders Sorge zu machen schien, das waren die Gegenstände, von welchen Gertrud träumte, und der unerklärliche Zusammenhang, in welchem ihr Traum mit der Wirklichkeit stand. Hatten sich bis jekt von seinem Willen, wie durch eine unbegreifliche Macht, Gertrudens Gedanken und Gefühle lenken lassen, so wurden ihr jetzt die seinen bekannt, ohne daß sie dieser Mittheilung sich bewußt war.

Einmal, nachdem sie lange geschlafen, während der Ritter seine Hand auf ihre Schlafe gelegt, erwachte sie mit tiefem Seufzer, und als sie Hug an ihrer Seite erblickte, schrie sie erschreckt auf und wandte sich, ihn ängstlich abwehrend, zur Seite. Hug saß schweigend und finster blickend da. Als sie sich gefaßt, weinte sie lange; dann barg sie den Kopf in ihre Hände und sprach mit ängstlich ruhigem Tone: „Ich weiß Alles, Hug, weiß, wer du bist und was ich dir bin. Heute hat der Traum mir den letzten Schleier weggezogen. - Daß du ein Johanniter - Priesterritter bist, daß du mein Herz dir genommen als Spielwerk und Zeitvertreib, und daß mein junges, frisches Leben so bald verblühen muß, daß ich so grausam von dir getäuscht bin — das möge dir Gott vergeben, wie ich es dir vergebe; habe ich doch einen schönen, wenn auch kurzen Tag in Liebe gelebt. – Was du aber treibst, du sündiger, unseliger Mann, im Verborgenen mit ihm, dem finstern Gehülfen, der dich als Diener begleitet in der Höllenküche eurer von Gott und seiner Gnade trennt, und wenn dich die irdische Gewalt nicht trifft, so wird der Himmel die Todsünde rächen.„

Der alte Rathsherr war während dieser Rede ins Zimmer getreten und vernahm erstaunt die seltsamen Worte der Tochter, welchen der Ritter, die sonst so blitzenden Augen matt zur Erde geschlagen, nichts entgegnete. Als er aber den Vater sah, da ward sein Gesicht noch bleicher und er zuckte sichtbar zusammen. Dann wandte er sich mit verzogenem Lächeln zu dem Alten und sagte: „Sie spricht irre,“ zog ein Krystallfläschen aus dem Busen und hielt es Gertrud vor, welche alsbald in einen tiefen Schlaf versank, worauf der Ritter sich schnell entfernte.

An ihrem Bette ließ sich sinnend der Vater nieder, überdachte die vernommenen Worte und brachte sie in Verbindung mit den sonderbaren und bedenklichen Gerüchten, welche in der Stadt über das nächtliche Treiben der Fremden in dem abgelegenen Gemach der Herberge verbreitet waren. Zwar hielten sie dasselbe fest verschlossen, oft aber wollte man seltsame, wimmernde Töne, bald wie von ächzenden Kindern, bald wie das Knarren von Räderwerk, daraus vernommen haben. Noch spät in der Nacht saß er so, während die Kranke regungslos da lag, und suchte die Neigung für den Retter seines Lebens mit seinen Pflichten als Vorsteher des Orts zu vereinen.

Da erscholl durch die Stille der Nacht der Feuerruf. Die Herberge stand in hellen Flammen und schnell, von dem Weststurm verbreitet, griff das Feuer mit verzehrender, unwiderstehlicher Gewalt um sich. Am Abend des anderen Tages war auch das letzte Haus Potsdams von der Gluth verzehrt und die Stadt in einen weiten, rauchenden Schutthaufen verwandelt; nur das Schloß, die Kirche und die Burg blieben verschont. — Den fremden Ritter und seinen dunkelfarbenen Diener hatte Niemand gesehen. Der alte, tiefgebeugte Rathsherr aber beweinte nur kurze Zeit noch seine Tochter, die aus dem unnatürlichen Schlafe nicht wieder erwacht war.

Quelle: Karl v. Reinhard, Sagen und Mährchen aus Potsdams Vorzeit, Potsdam 1841, Verlag der Stuhrschen Buchhandlung